Himbeerzunge beim Kawasaki-Syndrom
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Kawasaki-Syndrom: Was steckt hinter der Krankheit?

Von: Dagmar Reiche (Ärztin und Medizinautorin), Silke Schwertel (geb. Hamann) (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 16.07.2020 - 08:55 Uhr

Die Anzeichen des Kawasaki-Syndroms ähneln denen von Scharlach: Zu den typischen Krankheitszeichen gehören unter anderem rote Lippen und eine himbeerrote Zunge, aber auch Hautausschlag, geschwollene Lymphknoten und Gelenkschmerzen. Welche Symptome deuten noch auf das Kawasaki-Syndrom hin und wie wird die Krankheit behandelt?

Was ist das Kawasaki-Syndrom?

Das Kawasaki-Syndrom (KS) ist eine lebensgefährliche, aber seltene Krankheit, die meist im Kleinkind- oder Kindesalter auftritt. Sie gehört zu den Vaskulitis-Syndromen, also fieberhaften Krankheiten verschiedener Ursache, bei denen Entzündungen der Gefäße im Vordergrund stehen. Da die Gefäße im ganzen Organismus vorkommen, sind die Symptome entsprechend vielseitig.

Die Krankheit wird fachsprachlich auch als mukokutanes Lymphknotensyndrom (MCLS) bezeichnet.

Kawasaki-Krankheit: Wer ist betroffen?

Das Kawasaki-Syndrom betrifft nur Kinder (in 85 Prozent der Fälle unter fünf Jahren), Jungen häufiger als Mädchen. Meistens sind Kinder zwischen einem und acht Jahren betroffen, doch auch Jugendliche oder Säuglinge können erkranken.

In Japan ist die Erkrankungsrate um ein Vielfaches höher als in anderen Ländern. In Deutschland erkranken jährlich schätzungsweise 5 bis 17 von 100.000 Kindern, also etwa 200 bis 600 Kinder pro Jahr. Es wird immer wieder über kleine Epidemien berichtet, die besonders häufig im Spätwinter und Frühling auftreten.

Kawasaki-Syndrom: Symptome der Krankheit erkennen

Typisch für das Kawasaki-Syndrom sind drei Phasen mit unterschiedlichen Symptomen, wobei die Dauer je nach Therapiebeginn und individuellem Verlauf variieren kann.

Kawasaki: Symptome in der akuten Phase (bis zu zehn Tage)

Es werden zusätzlich zum typischen Fieber fünf Hauptkriterien (als Zeichen der akuten Entzündung) unterschieden; sind mindestens vier davon erfüllt, gilt die Diagnose des Kawasaki-Syndroms als sicher. Besonders bei kleinen Kindern können allerdings auch weniger Symptome auftreten; dann ist besonders das hohe Fieber, das trotz Behandlung länger als fünf Tage anhält, ein wichtiger Hinweis:

  • Die Krankheit beginnt mit Fieber über 39 °C, das länger als fünf Tage anhält und nicht auf Antibiotika anspricht. Meist steigt und sinkt das Fieber abwechselnd über einen Zeitraum von einer bis drei Wochen.
  • Eine Rötung beziehungsweise nicht eitrige Bindehautentzündung beider Augen setzen nach etwa zwei Tagen ein.
  • Innerhalb von etwa fünf Tagen zeigen sich trockene, hochrote Lippen (Lacklippen) und eine rote Zunge (Erdbeerzunge oder Himbeerzunge). Auch eine diffus gerötete Mundschleimhaut ohne eitrige Beläge kann auftreten.
  • Weitere Anzeichen sind Rötung oder Blaurotfärbung und Schwellung von Handflächen und Fußsohlen, später Schuppung und Abschälen der Haut an den Fingerspitzen und Zehen (nach etwa zwei bis drei Wochen).
  • Es zeigt sich vorübergehender, vielgestaltiger, oft fleckiger Ausschlag (Exanthem), vor allem am Rumpf sowie Im Windel- und Genitalbereich, der Masern oder Scharlach ähnelt.
  • Es kann zur Schwellung der Halslymphknoten und einer Rötung des Halses kommen.

Hinzu können Zeichen der Entzündung an anderen Organe kommen, zum Beispiel des Magen-Darm-Trakts (Erbrechen, Durchfall, Bauchschmerzen), der Gelenke (Schmerzen), der Harnwege (Beschwerden beim Wasserlassen), der Hirnhäute (Nackensteifigkeit, Kopfschmerzen) oder Nerven (Lähmung, Hörstörungen), des Herzens oder der Leber.

Subakute Phase des Kawasaki-Syndroms (etwa zwei bis vier Wochen)

In dieser Phase gehen Fieber, Ausschlag und Lymphknotenschwellungen zurück, Bindehautentzündung, Appetitlosigkeit und Reizbarkeit können noch bestehen bleiben. Neue mögliche Symptome in dieser Phase sind eine – typische – halbmondförmige Schuppung der Finger- und Zehenspitzen und Gelenkschmerzen.

Bei der Untersuchung lassen sich jetzt eventuell eine Vergrößerung der Gallenblase durch Stauung der Galle (Hydrops) und eine Aussackung großer Gefäße tasten.

Rekonvaleszenz-Phase (bis 70 Tage nach Krankheitsbeginn)

Während dieser Zeit bilden sich bestenfalls alle Symptome zurück und die Blutsenkungsgeschwindigkeit normalisiert sich. In dieser Zeit können gelegentlich Müdigkeit und Leistungsschwäche auftreten.

Welche Komplikationen gibt es?

Je später die Krankheit erkannt und behandelt wird, desto größer ist das Risiko für Komplikationen. Letztlich kann jedes Organ von den Entzündungen betroffen sein – die Liste möglicher Komplikationen ist deshalb lang. Am häufigsten und auch am meisten gefürchtet sind jedoch die Aussackung der Hauptschlagader (Aortenaneurysma) und andere, eventuell lebensbedrohliche Störungen des Herzens. Doch auch die Bauchspeicheldrüse oder Nieren können betroffen sein.

Obwohl das Kawasaki-Syndrom vergleichsweise selten ist, ist es heute in den Industrieländern die häufigste Ursache erworbener Herzerkrankungen im Kindesalter. Dazu gehören:

  • Aussackungen und Verkalkungen der Herzkranzgefäße und der Aorta, die platzen und so zu einem Herzinfarkt oder einer Blutung führen können (auch noch Monate bis Jahre später)
  • Entzündung des Herzmuskels oder Herzbeutels, Herzbeutelerguss
  • Herzrhythmusstörungen
  • Herzklappenprobleme
  • Herzschwäche

Bleibt das Kawasaki-Syndrom unbehandelt, entwickeln etwa ein Viertel der Kinder Herzprobleme.

Weitere mögliche Komplikationen sind Entzündungen im Bereich des Gehirns (Hirnhautentzündung), der Leber, Ohren, Augen Harnröhre oder Gallenblase. In der Regel klingen diese Symptome ohne Folgen wieder ab.

Kawasaki-Syndrom: Wie wird die Diagnose gestellt?

Da das Kawasaki-Syndrom bei Kindern lebensbedrohliche Folgen haben kann, sind eine rechtzeitige Diagnose und eine frühzeitig eingeleitete Behandlung entscheidend. Besteht der Verdacht auf ein Kawasaki-Syndrom, wird das Kind ins Krankenhaus eingewiesen. Da die Laborbefunde insgesamt recht unspezifisch sind, wird die Diagnose überwiegend aufgrund der Symptome vor allem in der akuten Phase gestellt.

Trotzdem gibt es eine Reihe verschiedener Untersuchungen, die durchgeführt werden, auch um andere Ursachen und Komplikationen auszuschließen und um den Krankheitsverlauf zu überwachen. Dazu gehören vor allem Bluttests (Blutbild, Entzündungszeichen, Antikörper, Blutsenkungsgeschwindigkeit und andere), das Anlegen von Blutkulturen, eine Elektrokardiographie (EKG) sowie eine Ultraschalluntersuchung des Herzens. Auch ein Rachenabstrich kann gemacht werden.

Welche Behandlung gibt es bei der Kawasaki-Krankheit?

Ziel der Behandlung ist, die entzündlichen Prozesse und so die Komplikationsrate zu verringern. Entscheidend ist der Beginn der Therapie vor dem zehnten Krankheitstag – Studien haben gezeigt, dass dann die Häufigkeit von Veränderungen am Herzen um den Faktor 10 gesenkt wird.

Zur Stimulation des Immunsystems wird einmal (selten zweimal) eine Infusion mit Immunglobulinen über sechs bis zwölf Stunden gegeben. Zudem erfolgt die Behandlung mit Acetylsalicylsäure, die über etwa zwei Wochen hochdosiert verabreicht wird, danach mit einer niedrigeren Dosis für sechs bis acht Wochen beziehungsweise – wenn Aussackungen bestehen – über mehrere Monate, anschließend eventuell ersetzt durch gerinnungshemmende Mittel. Mitunter kommen auch entzündungshemmende Steroide (Kortison) zum Einsatz. Bei Problemen mit den Herzkranzgefäßen ist eine langfristige Behandlung erforderlich.

Acetylsalicylsäure (in Aspirin®) sollte normalerweise nicht an Kinder verabreicht werden, da dies, vor allem in Verbindung mit Virusinfektionen wie Windpocken oder Grippe, zum das sogenannten Reye-Syndrom führen kann. Daher sollten Kinder mit dem Kawasaki-Syndrom gegen Grippe und Windpocken geimpft werden, um das Reye-Syndrom als Folgeerkrankung zu verhindern.

Wie sind Verlauf und Prognose?

Die Prognose hängt vor allem davon ab, in welchem Ausmaß das Herz betroffen ist. Meist heilt die Erkrankung folgenlos aus. Seitdem die Therapie mit Immunglobulinen eingeführt worden ist, hat sich die Prognose auch bei einer Organbeteiligung um ein Vielfaches gebessert. Selbst bereits vorhandene Veränderungen der Herzkranzgefäße können sich dadurch zurückbilden. Die ursprüngliche Sterblichkeitsrate von ein bis zwei Prozent hat sich auf derzeit 0,4 Prozent vermindert.

Unklar ist derzeit noch, wie weit Herzkranzgefäße, deren Veränderungen sich zurückgebildet haben (oder gar nicht sichtbar waren), krankheitsanfälliger sind und ob im Erwachsenenalter das Risiko für eine Arteriosklerose erhöht ist. Deshalb werden Betroffene langfristig kardiologisch nachuntersucht. Im seltenen Fall eines tödlichen Verlaufs tritt der Tod meist innerhalb der ersten sechs Monate ein, kann jedoch auch erst viele Jahre danach erfolgen.

Wie entsteht das Kawasaki-Syndrom?

Die genaue Ursache des Kawasaki-Syndroms ist noch immer unbekannt. Allerdings gehen die meisten Fachleute davon aus, dass ein Erreger beziehungsweise dessen Giftstoffe (ein Virus oder Gift produzierende Bakterien) das Kawasaki-Syndrom auslösen. Dabei muss vermutlich eine erbliche Disposition, also Anfälligkeit des Körpers, entsprechende Beschwerden zu entwickeln, vorhanden sein.

Für diese These, die von einer Kombination aus Infektion und genetischer Vorbelastung ausgeht, sprechen folgende Faktoren:

  • saisonales und geografisch gehäuftes Auftreten
  • akuter Verlauf; die Symptome gleichen anderen infektiösen Krankheitsbildern, die durch bakterielle Giftstoffe ausgelöst werden
  • bestimmte genetisch festgelegte Strukturen an der Zelloberfläche (Histokompatibilitätsantigen HLA-Bw22) kommen bei Betroffenen häufiger vor

Als sicher gilt, dass die Krankheit nicht ansteckend ist und somit keine Ansteckung in der Familie oder von anderen Kindern erfolgen kann. Aufgrund der unklaren Ursachen gibt es derzeit jedoch auch keine Möglichkeit, dem Kawasaki-Syndrom vorzubeugen.

Entdeckung der Kawasaki-Krankheit

Das Kawasaki-Syndromverdankt seinen Namen dem japanischen Arzt Tomisaku Kawasaki, der es um 1967 das erste Mal beschrieb. Ob die Krankheit tatsächlich in den 60er-Jahren neu aufgetaucht ist oder vor der Erstbeschreibung bereits existierte, ist umstritten.

Eine These ist zum Beispiel, dass erst die Einführung der Antibiotika ermöglicht hat, die Krankheit zu erkennen, die sich sonst hinter anderen Symptomen einer Infektion wie Scharlach versteckt hatte. Eine andere Vermutung ist, dass die Erkrankung nur eine andere Verlaufsform einer – auch vorher schon bekannten – Form einer Gefäßentzündung (Polyarthritis nodosa) ist.

Interessanterweise wurde Anfang der 70er-Jahre auf Hawaii unabhängig von der – bis dahin nur auf japanisch existierenden – Veröffentlichung Kawasakis die gleichen Krankheitssymptome beschrieben. Auch hier sind sich die Forscher noch nicht einig, ob das Zufall ist oder sich die MCLS Ende der 60er-Jahre von Japan aus über Hawaii auf die westliche Welt ausgebreitet hat.