Getreidefeld – Zöliakie
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Zöliakie (Sprue): Was steckt hinter der Glutenunvertäglichkeit?

Von: Dagmar Reiche (Ärztin und Medizinautorin)
Letzte Aktualisierung: 18.03.2016 - 12:30 Uhr

Zöliakie, auch bekannt als Sprue, ist eine Form der Glutenunverträglichkeit. Der Dünndarm besteht aus tausendfachen Faltungen und Ausstülpungen, sogenannten Zotten, die wiederum mit Millionen winziger Haare übersät sind. Damit wird die innere Darmoberfläche um das 300-fache und das Areal, über das Nährstoffe ausgetauscht wird, auf 100 bis 200 qm vergrößert. Ein höchst effektiver Mechanismus, der allerdings auch krankheitsanfällig ist. Zwar gelingt es der Natur mit diesem Trick, auf kleinem Raum eine riesige Austauschfläche bereitzustellen. Aber umgekehrt schrumpft diese auch schnell, wenn sich die Zotten krankhaft verändern, was zu Problemen bei der Nahrungsaufnahme und -verwertung führt. Genau das passiert bei der Zöliakie.

Was ist Zöliakie und wie zeigt sie sich?

Zöliakie ist eine chronische Erkrankung des Dünndarms. Wie es scheint, wird bei Zöliakie-Patienten eine falsche Aminosäure in ein körpereigenes Eiweiß eingebaut, das bei der Erkennung von Feinden eingesetzt wird. Dadurch wird Gluten, ein in Getreide enthaltenes Klebereiweiß, länger an diese Immunzellen gebunden und löst eine - eigentlich unnötige - Fremdkörperreaktion aus.

Die Abwehrzellen greifen allerdings nicht nur das Gluten an, sondern schädigen auch die Darmschleimhaut: Durch die Unverträglichkeit gegen Gluten schrumpfen die Dünndarmausstülpungen. Damit können Fette, Zucker, Proteine, Vitamine, Mineralien und sogar Wasser nicht mehr richtig in den Körper aufgenommen werden. Der Mangel an diesen Substanzen wiederum führt zu vielfältigen Symptomen und Beschwerden - keine zwei Krankheitsfälle sind identisch.

Zöliakie, Sprue oder Glutenunverträglichkeit?

Früher wurde zwischen Zöliakie und Sprue unterschieden: Trat die Erkrankung im Kindesalter auf, sprach man von Zöliakie, bei einer Diagnose im Erwachsenenalter bezeichnete man sie als (einheimische) Sprue. Heute spricht man nur noch von Zöliakie, da es sich um die gleiche Krankheit handelt und nicht, wie damals angenommen, um zwei verschiedene Störungen.

Gängig sind außerdem die Begriffe Glutenunverträglichkeit oder Glutenintoleranz. Hierbei handelt es sich eher um Überbegriffe: Neben einer Zöliakie kann mit einer Glutenunverträglichkeit auch eine Glutensensibilität gemeint sein. Hierbei können neben den Verdauungsstörungen auch Symptome auftreten, die bei einer Zöliakie unüblich sind, beispielsweise Migräne, Depression oder Muskelschmerzen. Die Glutensensibilität kann plötzlich und auch nur vorübergehend auftreten.

Klassische Form der Zöliakie: Symptome

Das klassische Symptom ist Durchfall: Die unverdauten Fette werden mit dem Stuhl ausgeschieden, dieser ist deshalb voluminös und übel riechend. Die Betroffenen leiden an Blähungen, magern ab und neigen zu Eisenmangel und Blutarmut (Anämie). Es kann zu Muskelschwund, Wassereinlagerungen, vermehrter Hautpigmentierung und Haarausfall kommen. Auch verschiedene Zeichen des Vitamin- und Kalziummangels wie z. B. Gerinnungsstörungen und Osteoporose treten auf. Nach längerem Verlauf können auch Schlaflosigkeit, Müdigkeit oder Depressionen mögliche Symptome sein.

Bei Kindern zeigen sich erstmalig Symptome, sobald mit der Zufütterung von Breikost mit Getreideprodukten begonnen wird – also meist ab dem 6. Lebensmonat. Die Babys haben keinen Appetit, Bauchschmerzen, einen geblähten Bauch und entleeren häufig große, schlecht riechende Stuhlmengen. Sie nehmen nicht mehr richtig zu und können Zeichen einer Blutarmut und Austrocknung entwickeln. Typisch sind ein "Tabaksbeutelgesäß", da im Po die Fettreserven abgebaut werden, und ein missmutiger, weinerlicher Gesichtsausdruck als Zeichen der Gereiztheit bis hin zur Wesensveränderung. Nicht selten stagniert die kindliche Entwicklung oder macht sogar Rückschritte.

Symptome bei atypischen Formen der Zöliakie

Tückischerweise zeigt fast die Hälfte der Patienten keine Magen-Darm-Beschwerden. Stattdessen kann sich die Erkrankung nur durch eines oder mehrere der folgenden Symptome äußern:

  • Hautveränderungen (Dermatitis herpetiformis Duhring)
  • Eisenmangel, Kleinwuchs
  • Zahnfleischschrumpfung
  • Gelenkbeschwerden
  • Leberentzündung
  • Osteoporose
  • Depressionen, Reizbarkeit, Müdigkeit
  • eingeschränkte Fitness
  • bei Frauen zu häufigen Fehlgeburten oder Unfruchtbarkeit

Diese atypischen Verläufe sind schwierig zu erkennen, die Patienten haben nicht selten eine jahrelange Odyssee hinter sich, bis die Zöliakie diagnostiziert wird.

Berücksichtigt man sowohl die klassischen als auch die atypischen Formen, geht man mittlerweile davon aus, dass etwa 1 von 250 bis 500 Menschen an einer Empfindlichkeit gegenüber Gluten leiden. Davon weisen allerdings nur etwa 10 bis 20 Prozent die für Zöliakie typischen Symptome auf.

Was ist Gluten und welche Wirkung hat es?

Gluten ist ein Klebereiweiß, das aus den Proteinen Prolamin und Gluteline besteht. Es hat für die Backeigenschaften von Mehl eine zentrale Bedeutung und kommt vor allem in den Getreidearten Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste und Hafer – und damit in zahlreichen Lebensmitteln vor.

Im Gluten ist Gliadin enthalten, das eine Reaktion des Immunsystems hervorrufen kann, wodurch Antikörper gebildet werden. Diese richten sich gegen die Darmschleimhaut und führen dort – bereits in kleinsten Mengen – zu Entzündungen und auf Dauer zu schweren Schädigungen. Die Zotten flachen ab, die Oberfläche schrumpft, es werden nicht mehr ausreichend Verdauungsenzyme gebildet. Aufgrund dieser Prozesse spricht man auch von einer glutensensitiven Enteropathie (= Darmerkrankung).

In der Folge können nicht mehr genügend Nährstoffe von Körper aufgenommen werden, es kommt zu Mangelerscheinungen. Bei längerer Krankheitsdauer können die ständigen Entzündungsreaktionen zu einem erhöhten Krebsrisiko (Lymphom) führen.

Zöliakie: Risikogruppen

Zöliakie wird häufig beobachtet bei:

Auch Verwandte 1. und 2. Grades sind häufiger betroffen als die Durchschnittsbevölkerung. Diese Personen sollten sich untersuchen lassen, insbesondere falls eines oder mehrere der typischen Zeichen auftreten.

Zöliakie-Patienten leiden gehäuft an einer Zuckerkrankheit Typ 1. Beiden Krankheiten liegen Fehler im Immunsystem zugrunde. Vermutlich führt eine genetische Glutenüberempfindlichkeit zu einer Kettenreaktion, in deren Folge Zellen des Immunsystem überreagieren und körpereigenes Gewebe angreifen (Autoimmunkrankheit). Werden bestimmte Zellen der Bauchspeicheldrüsen zerstört, entwickelt sich ein Insulinmangel und damit Diabetes.

Wie wird die Diagnose gestellt?

Grundlage für die Diagnostik sind neben den klinischen Beschwerden der Nachweis von spezifischen Antikörpern (gegen Transglutaminase, Endomysium und Gliadin) im Blut und die Untersuchung einer Gewebeprobe der Dünndarmschleimhaut unter dem Mikroskop.

Die heute übliche endoskopische Dünndarmbiopsie ist ungefährlich und dauert nicht länger als 10 bis 15 Minuten. Dabei wird eine Kamerasonde über Mund, Speiseröhre und Magen in den Dünndarm geschoben, es werden mehrere Gewebeproben entnommen und anschließend mikroskopisch untersucht.

Der Antikörpertest kann eine Dünndarmbiopsie nicht ersetzen. Vor allem bei Kindern ist die sichere Diagnose durch die Biopsie wichtig, da sie bei positiver Diagnose ihr Leben lang glutenfrei essen müssen. Bessern sich die Symptome unter einer glutenfreien Diät, bestätigt das die Diagnose.

Fast alle Patienten zeigen typische Veränderung auf einem bestimmten Gen; da allerdings ein Viertel der Gesunden diese auch aufweist, taugt sie nicht zur Diagnosestellung, spricht aber beim Fehlen gegen eine Zöliakie.

Welche Therapie gibt es bei Zöliakie?

Die bisher einzige Behandlung ist der komplette, lebenslange Verzicht auf glutenhaltige Nahrungsmittel. Nur so kann sich die Dünndarmschleimhaut erholen und ihre Funktion zurückgewinnen. Schon bei kleinsten Mengen von Gluten treten jedoch erneut Schädigungen und Beschwerden auf.

In den meisten Fällen bessern sich bereits wenige Wochen nach der Ernährungsumstellung die Symptome und verschwinden dann ganz.

Kann Zöliakie vorgebeugt werden?

Noch ist nicht endgültig geklärt, warum bei einigen Menschen Zöliakie auftritt, aber es scheint an einer genetischen Veranlagung zu liegen. Die einzige derzeit empfohlene präventive Maßnahme ist, bei Kleinkindern unter sechs Monaten glutenhaltige Lebensmitteln zu vermeiden.

Nach der Diagnose von Zöliakie können durch eine konsequente Diät Folgekrankheiten verhindert werden.