Besorgte Frau – Psychosomatik
© Karolina Grabowska / Kaboompics

Psychosomatik: das Zusammenspiel von Seele und Körper

Von: Nathalie Blanck (Ärztin und Medizinautorin)
Letzte Aktualisierung: 18.07.2012 - 08:34 Uhr

Der Hausarzt findet bei mehr als 20 Prozent aller Patienten keine organische Ursache für deren Beschwerden – oft sind die eigentlichen Krankheitsauslöser bei genauerer Betrachtung der individuellen psychischen und sozialen Faktoren zu finden. Dieses Zusammenspiel von Körper und Seele wird als Psychosomatik bezeichnet. Was genau versteht man darunter und was steckt hinter psychosomatischen Erkrankungen?

Was versteht man unter Psychosomatik?

Psychosomatik ist die Lehre der Krankheiten, die sich körperlich äußern und dabei teilweise oder ganz psychisch verursacht werden.

Das psychosomatische Verständnis geht davon aus, dass sich Körper und Seele gegenseitig beeinflussen, und sieht den Menschen als eine biopsychosoziale Einheit, deren einzelne Bestandteile nur miteinander funktionieren können. Dieser ganzheitliche Grundgedanke ist in der Medizin in vielen Bereichen vorhanden – so verfolgt ihn auch jeder Hausarzt, wenn er seinen Patienten nicht nur nach seinen aktuellen Beschwerden fragt, sondern auch Näheres zur Familie oder der Arbeit seines Patienten wissen will und er ihn fragt, ob es ihm ansonsten ganz gut geht. Allerdings war der Stellenwert der psychosomatischen Idee in den letzten Jahrhunderten nicht immer gleich.

Historische Entstehung der Psychosomatik

Der Arzt in Antike und Mittelalter behandelte immer gleichzeitig Leib und Seele, um seinen kranken Patienten möglichst umfassend zu versorgen. Seine Auffassung von Krankheit war von der Temperamentenlehre geprägt, die davon ausging, dass Körpersäfte und seelischer Zustand eng miteinander verknüpft sind.

Erst die naturwissenschaftliche Forschung in der Medizin ab dem 16. Jahrhundert änderte diese Sichtweise. Krankheit wurde als eine chemisch-physikalische Veränderung in den Körperzellen definiert, die mit Arzneimitteln behandelt werden konnte. Diese naturwissenschaftliche Medizin gerät allerdings bis heute bei Krankheiten, bei denen keine Veränderungen der Organfunktionen nachweisbar sind, in eine gewisse Erklärungsnot.

Ab Ende des 19. Jahrhunderts entstand als medizinische Gegenströmung die Psychosomatik. Sie wollte die individuell unterschiedlichen Krankheitseinflüsse und -verläufe genauer beleuchten und so die Behandlung der naturwissenschaftlich ungenügend therapierbaren Beschwerden verbessern. Wichtige Vorkämpfer der heutigen psychosomatischen Erkenntnisse waren Sigmund Freud und Franz Alexander, später kamen dann unter anderem Erklärungsmodelle von Hans Selye und Thore von Uexküll hinzu.

Wie macht sich Psychosomatik im Alltag bemerkbar?

Den Zusammenhang zwischen Psyche und Körper kann jeder von uns tagtäglich am eigenen Leib erfahren – sei es, dass einem "etwas schwer im Magen liegt", "der Schreck in die Glieder fährt", man "sich vor Angst fast in die Hose macht" oder dass man vor Scham errötet und sich in einer unangenehmen Situation der Herzschlag beschleunigt. Diese Erfahrungen zeigen, dass sich Emotionen sowohl auf autonome Körperfunktionen wie Herzschlag, Blutdruck oder Blasen- und Darmtätigkeit als auch auf den Bewegungsapparat mit seinen Muskeln auswirken und sie beeinträchtigen können.

Das Wechselspiel zwischen Psyche, Verhalten, dem Nerven- und Immunsystem wird inzwischen seit fast 30 Jahren von einem speziellen psychosomatischen Forschungsbereich untersucht, der Psychoneuroimmunologie (PNI). Sie hat bereits vielfältige Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Bereichen herausgefunden, ohne meist im Einzelnen genau sagen zu können, auf welche Weise die Wechselwirkung ausgelöst wird. Einige Übertragungswege allerdings sind bereits gut erforscht, so wirkt sich z.B. chronischer Stress negativ auf die verschiedenen Zellen des Immunsystems aus.

Gibt es rein psychosomatische Krankheiten?

Früher trennte man Krankheiten, bei denen man psychische Auslöser vermutete und bei denen man, z.B. unter dem Mikroskop, eine körperliche Veränderung feststellen konnte, von Erkrankungen, bei denen trotz aller Untersuchungsmethoden kein körperlicher Schaden diagnostiziert werden konnte. Heute ist man von dieser Einteilung abgekommen, sodass sich das Feld der psychosomatischen Erkrankungen stark verbreitert hat.

Klassische 7 der Psychosomatik

Der Psychoanalytiker Franz Alexander war schon Mitte des letzten Jahrhunderts der Meinung, dass bestimmte Krankheiten psychische Ursachen haben und in der psychischen Grundstruktur des einzelnen Individuums begründet sind: Zu den klassischen Sieben der Psychosomatik zählten Bronchialasthma, Magen- und Zwölffingerdarm-Geschwüre, die chronische Dickdarmentzündung Colitis ulcerosa, Neurodermitis, Bluthochdruck, die chronische Polyarthritis und die Schilddrüsenüberfunktion. Später kamen dann Erkrankungen wie die Darmkrankheit Morbus Crohn, die koronare Herzkrankheit, Allergien und einige Autoimmunerkrankungen dazu.

Heute weiß man allerdings, dass diese Theorie so nicht stimmt: So zeigte die Entdeckung des Bakteriums Helicobacter pylori einerseits, dass durchaus ein Erreger für den Großteil der Magengeschwüre verantwortlich ist. Außerdem ergaben vielfältige Forschungen keine speziellen Persönlichkeitsmerkmale oder Konflikte, von denen sich auf eine spezielle psychosomatische Krankheit schließen ließ.

Auf der anderen Seite weiß man heute sehr wohl, dass bei sehr vielen Erkrankungen – und zwar nicht nur bei den oben erwähnten, sondern auch bei Essstörungen wie Bulimie oder Magersucht, Schlafproblemen, vielen gynäkologischen oder urologischen Problemen, Angst-, Sucht- und sogar Krebserkrankungen – die psychische Verfassung des Einzelnen den Krankheitsverlauf und die -ausprägung wesentlich beeinflusst. Warum das so ist, weiß man nicht genau – allerdings haben in den letzten 100 Jahren berühmte Psychoanalytiker unterschiedliche Theorien dazu ausgebildet.

Wie entstehen Krankheiten mit psychosomatischem Anteil?

Das Erklärungsmodell von Sigmund Freud geht davon aus, dass sich unbewusste Konflikte dem Bewusstsein durch Verdrängung entziehen und sich dann körperlich darstellen. Dadurch wird das körperliche Symptom zum Symbol für den psychischen Konflikt. Dieses Konversion (psychisch wird zu physisch) betrifft oft die Sinnesorgane (Blindheit, Ohrgeräusche, Schwindel) oder die Motorik (Lähmungen, Muskelkrämpfe). Max Schur, auch ein Psychoanalytiker und der Arzt Freuds, war der Meinung, dass der Mensch im Laufe seines Lebens lernt, auf eine Belastung nicht mehr körperlich zu reagieren, sondern sein Denken und seine Phantasie, also seine Ich-Funktionen, ausgebildet werden. Unter zu starker Belastung würde er dann wieder in das frühkindliche Verhaltensmuster zurückfallen und körperlich, also mit einer psychosomatischen Erkrankung, reagieren.

Verschiedene Theorien

Während Franz Alexander einen spezifischen Zusammenhang zwischen dem psychischen Konflikt und der Reaktion des Körpers sah, veränderten George L. Engel und Arthur H. Schmale diesen Erklärungsansatz und sahen Zeitpunkt des Auftretens und Lokalisation der Erkrankung bei jedem Einzelnen abhängig von der psychischen Verfassung, nicht jedoch die Körperreaktion an sich. Pierre Marty fand bei Patienten mit psychosomatischen Erkrankungen gehäuft eine Phantasiearmut und eine bestimmte mechanistische Denkart, so dass er einen Zusammenhang zwischen Charaktermerkmalen und der Neigung zu psychosomatischen Krankheiten unterstellte.

Für Martin Seligman sind fehlgesteuerte Lernprozesse die Ursache für die psychosomatische Erkrankung, auch Hans Selye sieht die Erkrankung als Endergebnis einer Stressreaktion, auf die sich der Einzelne nicht anders wehren kann.

Am weitesten greifen die heute verwandten biopsychosozialen Erklärungsmodelle für die Entstehung einer psychosomatischen Krankheit, z.B. von Thore von Uexküll. Sie umfassen nicht nur biologisch-körperliche, emotionale und intellektuelle Komponenten des Einzelnen, sondern auch seine soziale Situation und seine Lebensgeschichte und sehen in dem Zusammenspiel eine Begründung für die Krankheitsentstehung.

Gibt es eine psychosomatische Behandlung?

Kopf-, Brust-, Bauch- und Rückenschmerzen sind neben Müdigkeit, Schwindel, Atemnot und Schlafstörungen die häufigsten Beschwerden, weswegen ein Patient zum Arzt geht – und die häufigsten Beschwerden, bei denen keine Ursache gefunden wird. Also gerade bei der Behandlung dieser Beschwerden ist es besonders wichtig, psychische und körperliche Aspekte gleichermaßen zu berücksichtigen. Aber auch ansonsten sollten Sie sich immer fragen, ob Sie außer der medizinischen Behandlung nicht vielleicht etwas mehr für sich tun könnten, um den Heilungsverlauf zu beeinflussen:

  • Gesunde Ernährung unterstützt das Gesundwerden – essen Sie aber auch Lebensmittel, auf die Sie Lust haben und von denen Sie wissen, dass sie für Sie "Seelennahrung" sind.
  • Bewegung an der frischen Luft aktiviert Ihr Immunsystem – und die Sonne vertreibt schlechte Gedanken.
  • Entspannungsübungen bauen Stress ab und helfen Ihnen, ausgeglichener zu werden.
  • Fragen Sie sich, ob bestimmte Lebensumstände zu Ihren Beschwerden beitragen. Wenn Sie sich unsicher sind, nehmen Sie professionelle Hilfe in Anspruch und reden Sie mit einem Psychologen oder Psychotherapeuten über Ihre Probleme.
  • Ganzheitliche Medizinansätze finden Sie u.a. in der Naturheilkunde, Homöopathie, traditionell chinesischen Medizin und anderen östlichen Weisheitslehren. Fragen Sie Ihren Arzt, ob er Ihnen bei einer ganzheitlichen Behandlung helfen kann.