Frau mit CRPS (Morbus Sudeck) hält schmerzende Hand
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Morbus Sudeck: Was ist CRPS?

Von: Julia Scheuble (Studentin der Humanmedizin)
Letzte Aktualisierung: 10.08.2020 - 14:46 Uhr

CRPS, häufig auch Morbus Sudeck genannt, ist die Abkürzung für die englische Bezeichnung Chronic Regional Pain Syndrom – im Deutschen spricht man vom komplexen regionalen Schmerzsyndrom. Menschen mit CRPS erleben nach einer Verletzung im Bereich der Arme oder Beine ungewöhnlich lang andauernde und für die Ursache übermäßig starke Schmerzen. Dabei werden auch die Bewegung und Wahrnehmung der Arme und Beine eingeschränkt. Was ist das für eine Krankheit und wie erfolgt die Behandlung? Das erfahren Sie hier.

CRPS: viele Namen – eine Krankheit

Andere Name für CRPS sind Reflexdystrophie, Sudeck-Dystrophie, Algodystrophie oder sympathische Reflexdystrophie. Eine Dystrophie ist eine Fehlbildung, beim CRPS handelt es sich um eine Fehlbildung der Nerven.

Eigentlich bezeichnet der ebenfalls gängige Begriff Morbus Sudeck (M. Sudeck) nur den CRPS Typ I. Häufig wird Morbus Sudeck jedoch mit CRPS gleichgesetzt. Aus diesem Namen ergeben sich auch Bezeichnungen wie die Sudeck-Krankheit, das Morbus Sudeck Syndrom oder die Sudecksche Erkrankung.

Wie entsteht Morbus Sudeck?

Das komplexe regionale Schmerzsyndrom tritt meist an den Armen oder Beinen, also den Extremitäten, auf. So kann es etwa den Fuß, die Hand oder den Finger betreffen. Den Beschwerden voraus geht immer ein Auslöser, zum Beispiel:

  • Verletzungen, vor allem nahe des Gelenks
  • Nervenverletzungen
  • bestimmte physiotherapeutische Übungen
  • Knochenbrüche
  • therapeutische oder diagnostische Eingriffe, zum Beispiel Operationen oder Vollnarkosen
  • einengende Verbände

CRPS ist selten und tritt nur bei zwei bis fünf Prozent aller Verletzungen an den Extremitäten als Komplikation auf. Hierbei ist egal, wie schwer die Verletzung war.

Die Ursachen für den Morbus Sudeck sind noch ungeklärt. Es wird jedoch vermutet, dass sich Teile der Nerven entzünden. Dies führt dann möglicherweise zu einer Sensibilisierung und einer erhöhten Schmerzempfindsamkeit (Hyperalgesie). 

Wie lässt sich Morbus Sudeck erkennen?

Das wichtigste Symptom bei CRPS ist der bereits erwähnte chronische, also andauernde, Schmerz, der sich durch die ursprüngliche Verletzung nicht erklären lässt. Außerdem können auch noch folgende Symptome auftreten:

  • Schmerzüberempfindlichkeit (Hyperalgesie)
  • Überempfindlichkeit gegen Berührungen der Haut (Hyperästhesie)
  • ein eigentlich nicht schmerzvoller Reiz löst Schmerzen aus (Allodynie)
  • unterschiedlich warme Körperhälften und Färbung der Haut
  • Körperhälften schwitzen unterschiedlich viel
  • Schwellungen am Körper durch Wassereinlagerungen
  • Einschränkung von Beweglichkeit und Kraft, unwillkürliches Zittern der Hände (Tremor)
  • Störungen im Gewebswachstum (trophische Störung)
  • ungleichmäßiger Nagel- und Haarwachstum, wenn man die Körperhälften vergleicht
  • Ausdünnen der Haut an bestimmten Stellen (Hautatrophie), erkennbar durch hervortretende Venen und Verfärbungen der Haut

CRPS: Welche Typen gibt es?

Beim CRPS werden zwei mögliche Arten beziehungsweise Typen unterschieden: 

  • Zum einen CRPS Typ I, bei dem kein Nachweis einer Nervenverletzung existiert). Früher wurde dieser Typ auch Morbus Sudeck oder Algodystrophie genannt. In der internationalen Krankheiten-Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO), abgekürzt als ICD-10, lautet der Klassifizierungs-Code G90.5-.
  • Zum anderen wird von einem CRPS Typ II (früher auch Kausalgie) gesprochen, falls der Nachweis einer Nervenverletzung vorliegt (der ICD-10-Code lautet G90.6-).

Verlauf: Einteilung in Stadien

CRPS wird in drei Stadien unterteilt, die aber nicht unbedingt nacheinander durchlaufen werden müssen1:

  • Stadium I, auch entzündliches Stadium genannt, äußert sich als brennender Ruheschmerz. Es treten entzündliche Schwellungen und Fehlregulierungen der Körpertemperatur auf.
  • Stadium II ist das dystrophe Stadium, das bedeutet, es kommt zu einer mangelhaften Nährstoffversorgung des Gewebes. Hier lassen die Schmerzen nach, die Gelenke beginnen, zu versteifen, Knochen entkalken, Muskeln bilden sich zurück (man bezeichnet das als Atrophieren) und die Haut wird kalt und blass.
  • Stadium III, auch atrophes Stadium, beginnt, sobald keine Schmerzen mehr empfunden werden. Die Gliedmaßen verlieren ihre Gebrauchsfähigkeit. Muskel-, Binde- und Fettgewebe beginnen, sich zurück zu bilden, die Gelenke versteifen schlussendlich komplett und die Haut wird dünn und glänzend.

Manche Autoren definieren ein viertes Stadium als Störung des Immunsystems, mit Wasseransammlungen und extremen Schwankungen der Körperkerntemperatur.

Wie erfolgt die Diagnose bei CRPS?

Für die CRPS-Diagnose liefert das Auftreten der typischen Symptome – vor allem die Schmerzen im betroffenen Bereich – entscheidende Hinweise. Zusätzlich können Röntgenaufnahmen Aufschluss über die Beschaffenheit der Knochen geben. 

Eine andere Möglichkeit zur Diagnose ist die sogenannte Drei-Phasen-Skelettszintigraphie. Sie liefert nähere Informationen zum Blutfluss, zur Verteilung der Blutmenge und zum Knochenstoffwechsel. Hierbei wird eine radioaktive Flüssigkeit ins Blut gespritzt. Nach bestimmten Zeitabschnitten werden jeweils mithilfe eines Detektors Bilder vom Körper des Untersuchten gemacht: 

  • Die ersten 60 Sekunden beobachtet man den Blutfluss zum Knochen hin (Einstromphase).
  • Nach fünf Minuten beobachtet man die Blutverteilung im Gewebe (Weichteilphase).
  • Anschließend, nach zwei bis fünf Stunden, wird die Aufnahme in den Knochen beobachtet (Knochenstoffwechselphase).2

Vor allem die letzte Phase der Drei-Phasen-Skelettszintigraphie kann den veränderten Stoffwechsel im Knochen beim CRPS darstellen. Hierbei ist zu beachten, dass die Szintigraphie das CRPS zwar bestätigen, aber nicht ausschließen kann. Liefert die Untersuchung also nicht die bei CRPS zu erwartenden Ergebnisse, kann die betroffene Person trotzdem CRPS haben.

Darüber hinaus können auch Messungen der Hauttemperatur auftretende Unregelmäßigkeiten aufzeigen. 

MRT-Bilder (Magnetresonanztomografie) erlauben neben der Betrachtung der Knochen auch eine Aussage über Wassereinlagerungen (Ödeme), Muskeln oder das Bindegewebe. Ein MRT kann im Einzelfall durchgeführt werden, um andere Erkrankungen auszuschließen, ist aber normalerweise zur Diagnose von CRPS nicht erforderlich.

Wie wird CRPS behandelt?

Grundsätzlich gilt: Je früher der Therapie bei Morbus Sudeck beginnt, desto besser die Prognose. 

Die Therapie bei CRPS besteht aus: 

  • Physio- und Ergotherapie
  • Schmerzbehandlung
  • medikamentöser Therapie

Die Physio- und Ergotherapie soll die Beweglichkeit der Extremität wiederherstellen, beziehungsweise der Verschlimmerung der Symptome vorbeugen.

Schmerzbehandlung mittels Physiotherapie

In der akuten Phase werden vor allem Schmerzen und Schwellungen behandelt: Hierbei kommen vor allem Lymphdrainage (Massage der Lymphknoten), kühlende Wickel, Kohlensäure-Bäder oder Hochlagerung der betroffenen Gliedmaßen zum Einsatz. Zur Schmerzlinderung werden benachbarte Gelenke sowie die Hals- beziehungsweise Lendenwirbelsäule vom Physiotherapeuten bewegt – man bezeichnet dies als Mobilisieren. 

Zu diesem Zweck werden auch Elektrotherapien wie Ultraschall oder TENS (Transkutane elektrische Nervenstimulation) zur Hilfe genommen.

Im weiteren Verlauf der Erkrankung werden die betroffenen Gliedmaßen durch manuelle Therapie mobilisiert. Hierbei ist die Mitarbeit des Betroffenen ausschlaggebend für den Erfolg der Therapie. Sind die Beine betroffen, so werden auch Kraftaufbau, zum Beispiel mittels Gerätetraining, und Gehschule genutzt.

Ergotherapie lindert die Beschwerden

Ergotherapeutisch wird häufig mit einem sogenannten Desensibilitätstraining gearbeitet. Hierbei wird der Betroffene mit gezielten Berührungen von unangenehm empfunden Materialien (weich bis kratzig) "abgehärtet". Im Gegensatz dazu soll ein Sensibilisierungstraining das Gefühl in taube Hautbereiche zurückbringen. 

Manche CRPS-Betroffene haben Probleme, Gegenstände durch tasten zu erkennen (Stereoagnosie). Auch dafür gibt es bestimmte Trainingseinheiten. Schwellungen sind beim CRPS häufig anzutreffen und können den Betroffenen große Probleme bereiten. Dagegen können warme und kalte Bäder beziehungsweise Lymphtapes oder Kompressionsverbände helfen.

Im späteren Krankheitsverlauf kann es zu Fehlhaltungen der Gliedmaßen kommen. Um das zu behandeln, beziehungsweise dem vorzubeugen, können die betroffenen Extremitäten geschient werden.

Ein wichtiger Teil der ergotherapeutischen Betreuung ist die funktionelle Therapie. Zum Beispiel werden mit propriozeptivem neuromuskulärem Training (PNF) bekannte Bewegungen gegen Widerstände ausgeführt, sodass gesunde Bewegungsmuster wiedererlernt werden können. Computergestützte Behandlungen wie Handtutor® oder Biofeedback haben dasselbe Ziel, die Behandelten können aber selbstständiger die Therapie durchführen. Zum Beispiel werden beim Handtutor® die Bewegungen oder beim Biofeedback die Temperaturschwankungen angezeigt und können so direkt vom Benutzer korrigiert und angepasst werden.

Das sogenannte ADL-Training (activities of daily life) hilft dem Patienten durch gezielte Übungen, Bewegungsabläufe, die für den Alltag wichtig sind, wiederzuerlernen und den Betroffenen so mehr Selbstbewusstsein und Sicherheit zu geben.

Medikamentöse Therapie bei CRPS

Im Rahmen der Schmerzbehandlung können neben den Schmerzmitteln Ibuprofen oder Novalgin® auch sogenannte Antikonvulsiva (gegen Muskelverspannungen), Antidepressiva und Opioide zur Schmerzbehandlung verschrieben werden. Auch Schmerzpflaster mit Capsaicin (dem Stoff, der die Schärfe in der Chili verursacht) finden Verwendung. 

Darüber hinaus können in frühen Stadien des CRPS Bisphosphonate zum Knochenaufbau und zur Schmerzlinderung oder Glucocorticoide bei starken Entzündungen genutzt werden. 

Psychotherapie bei Morbus Sudeck

Begleitend ist es möglich, psychotherapeutische Maßnahmen anzuwenden. CRPS ist nicht nur körperlich, sondern auch für die Psyche eine große Belastung. Schmerzpsychotherapie wird genutzt, um Erlebnisse aufzuarbeiten und Stress sowie den damit verbundenen Schmerz zu reduzieren.

Bei einigen CRPS-Betroffenen kann es sogar zum Neglect-like-Syndrom kommen. Bei diesem Syndrom handelt es sich um eine Störung der Wahrnehmung eines bestimmten Körperteils. Die Betroffenen nehmen dieses Körperteil dann weniger oder als nicht existent wahr. Zur Behandlung kann eine Spiegeltherapie hilfreich sein.

Bei der Spiegeltherapie wird die kranke Gliedmaße hinter einem Spiegel versteckt. Die gesunde Gliedmaße führt bestimmte, im Spiegel sichtbare Bewegungen durch. Währenddessen wird die kranke Gliedmaße hinter dem Spiegel parallel mitbewegt. Der Behandelte beobachtet dabei das Spiegelbild des gesunden Körperteils. Das Gehirn speichert so die Bewegungen des reflektierten gesunden Körperteils als Bewegung des kranken Körperteils ab.

Invasive Behandlungsmethoden bei CRPS

Es gibt auch die Möglichkeit, CRPS durch invasive, also in den Körper eindringende, Methoden zu behandeln: 

  • Bei der Sympathikusblockade werden Nerven gezielt unter anderem mit einer mit Alkohol gefüllten Spritze betäubt. Dies erfolgt in der Regel mit lokaler Betäubung, also ohne Narkose. Dieser Effekt kann über mehrere Wochen oder Monate anhalten und muss danach jedoch wiederholt werden.
  • Die Rückenmarksstimulation (SCS = Spinal Cord Stimulation) dient der gezielten Stimulation von Nerven, sodass das so erzeugte "Kribbelgefühl" den eigentlichen Schmerz überdeckt. Hierbei werden eine Elektrode und ein Impulsgeber in das Rückenmark implantiert, um dann bei Schmerzen aktiviert zu werden. Dazu wird auch die Spinalganglionstimulation gezählt, die durch Beeinflussung der Reizweiterleitung bestimmter Nervenknoten, den Spinalganglien, Effekte in Regionen wie den Füßen oder Unterschenkeln erzielen kann.

Wie lange dauert CRPS?

Die Heilungsdauer bei CRPS kann sehr unterschiedlich sein. Grundsätzlich ist CRPS zwar heilbar, doch nur ein kleiner Teil der Betroffenen wird vollständig geheilt. Allerdings erreichen auch nur etwa genauso wenige das Stadium III. Die meisten Betroffenen werden in unterschiedlichem Maße den Rest ihres Lebens von der Krankheit begleitet. Die Schmerzen können dabei konstant bestehen bleiben oder wiederkehrend auftreten. 

Wichtig für Betroffene ist, die richtige Therapie zu wählen. Idealerweise sollte ein Spezialist, in der Regel aus dem Bereich der Neurologie, Orthopädie oder Schmerzmedizin, aufgesucht werden, da diese üblicherweise Erfahrungen im Umgang mit dieser komplexen Krankheit haben.

Wer hat das größte Risiko, an CRPS zu erkranken?

Am häufigsten sind Frauen betroffen, zumeist im Alter von 40 bis 60 Jahren. Arme und Hände sind am häufigsten betroffen. Besonderes Risiko besteht bei einem Knochenbruch der Speiche, einer der Unterarmknochen.

Morbus Sudeck: Grund für Berufsunfähigkeit?

Manche Verläufe der Krankheit sind sehr schwer, können den Betroffenen in seinem Berufsleben massiv einschränken und manchmal sogar zur Berufsunfähigkeit führen. Da die Ursache des Morbus Sudeck immer noch ungeklärt ist, können Betroffene zwar einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente und Schwerbehinderung stellen, doch ob dies Erfolg hat, hängt davon ab, ob das Gutachten die auftretenden Schmerzen angemessen berücksichtigt.