Musiktherapie: Eintritt in die Welt der Töne

Musiktherapeut mit Kind am Klavier
© istockphoto, Leonardo Patrizi

"Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist, wenn sie ihr in den Magen fährt" sang Herbert Grönemeyer 1984 und machte damit vielen Menschen erstmals klar, dass Gehörlose Schwingungen über ihren Körper aufnehmen und wahrnehmen. Die Wahrnehmung von Schwingungen ist aber nur eine Facette von Musik als Therapie – das Wecken von Emotionen und Erinnerungen eine andere.

Musik als Kommunikationsmittel

Musik dient als Kommunikationsmittel. Nicht nur, um schnulzige Liebeserklärungen unter wackeligen Balkonen zu singen oder um politische Überzeugungen lautstark in die Welt zu bringen.

In der Medizin wird Musik schon seit dem Altertum zur Heilung zahlreicher Leiden eingesetzt. Aus dem Reich der Sumerer sind Tempelgesänge überliefert, die fest in Heilungsrituale eingebunden waren. Durch die Antike bis 1550 gehörte Musik fest zur Ausbildung der jeweiligen Mediziner. In der Gegenwart erlebt die Musiktherapie nach dem zweiten Weltkrieg einen starken Aufschwung.

Heute wird Musiktherapie als "gezielter Einsatz von Musik im Rahmen der therapeutischen Beziehung zur Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung seelischer, körperlicher und geistiger Gesundheit" definiert. Darunter versteht man alle musiktherapeutischen psychotherapeutische Konzepte, die in der Medizin eingesetzt werden. Dabei geht es nicht um "richtiges" oder "falsches" Singen, oder darum, ob die Klavierstunden erfolgreich waren.

Musikalischer Zugang zu Menschen mit Depression

Musiktherapie wird oft dort eingesetzt, wo die üblichen Kommunikationsmittel versagen. Für die häufigsten psychischen und psychiatrischen Erkrankungen im Alter – Depression und Altersdemenz – bietet die Musiktherapie Unterstützung und Hilfe. Depressiven Menschen, die in ihrer Gefühlswelt gefangen sind, gelingt es mit Musik oft, die gefühlsmäßige Starre zu verlassen und sich wieder auf das Leben einzulassen.

Der musiktherapeutische Zugang zu depressiven Menschen sollte allerdings den Therapeuten überlassen bleiben. Musiktherapie ist immer in ein therapeutisches Gesamtkonzept eingebunden und wird dort kompetent betreut – nur einfach eine CD abzuspielen reicht nicht aus.

Musiktherapie gegen das Vergessen

Bei altersdementen Menschen ist Musik das Mittel der Wahl, um Erinnerungen zu wecken. Weil prägende musikalische Erfahrungen in der Jugend gemacht werden und altersdemente Menschen in der Regel in der Realität ihrer Kindheit und Jugend leben, können Musiktherapeuten hier an Erfahrungen und Erlebnisse anknüpfen, die ihre Patienten nicht vergessen haben.

Viele altersdemente Patienten, die sich nicht mehr an die Namen ihrer Angehörigen erinnern, können problemlos Lieder aus ihrer Jugend singen. Für viele Patienten ist allein diese Erfahrung ein Stück Lebensqualität. Mit Musik werden Emotionen angesprochen, die weit über verbale und kognitive Fähigkeiten hinausgehen.

Umgekehrt kann auf diese Weise auch die Beweglichkeit wieder angeregt werden: Ein Tänzchen zur Musik folgt oft ganz spontan, wenn Rhythmus und Musik sich dem Körper mitteilen. Das Erkennen dieses Potentials ist Aufgabe des Musiktherapeuten, der sich entsprechend mit jedem einzelnen Patienten auseinandersetzen muss. Mit dem Begriff "Musikstunde im Altersheim" wird man dem musiktherapeutischen Ansatz in der Altenpflege also sicherlich nicht gerecht.

Mit Rasseln und weichen Saiten

Welche Art von Musik, welche Instrumente und in welchem Umfang Musik therapeutisch eingesetzt wird, entscheidet der Therapeut. Viele Therapeuten setzen zum Beispiel Orffsche Instrumente ein, die keinerlei musikalische Vorbildung von Patienten verlangen.

Wenn Körperempfinden und Wahrnehmung unterstützt werden sollen, wird auch ein "Klangstuhl" eingesetzt. Der Patient setzt sich aufrecht mit dem Rücken gegen die Lehne in den Stuhl, auf dessen Rückseite Stahlsaiten durch den Therapeuten zum Schwingen gebracht werden. Der Klang wird auf dem Stuhl über den ganzen Körper wahrgenommen, wobei die Wirbelsäule das körperliche Zentrum der Schwingungsübertragung bildet.

Therapeuten schätzen den Klangstuhl, weil er dem Patienten eine aufrechte, aber bequeme Körperhaltung ermöglicht, die innere Achtsamkeit und Bewusstheit unterstützt. Vor allem Patienten, die Angst haben, sich ausgeliefert zu fühlen, oder die wegen einer körperlichen Behinderung sehr hilflos sind, profitieren von dem neuen Therapieinstrument. Für Säuglinge und Kinder oder Schwerstbehinderte werden auch Klangliegen verwendet, mit denen die Klänge über den gesamten Körper wahrgenommen werden können.

Entspannung für Körper und Seele

Musik – ob primär gehört oder selbst gespielt – dient dazu, den Patienten emotional anzusprechen und auf diesem Weg Spannungen abzubauen und kommunikative Zugänge zum Patienten zu finden. Entsprechend wird Musik als ein Baustein in der psychischen und psychiatrischen Behandlung von Kindern eingesetzt. 

Weil der Gehörsinn am längsten funktionsfähig bleibt, können auch Schwerstkranke über Musik angesprochen werden. Untersuchungen haben festgestellt, dass diese Patienten mittel des Hörsinns durch Klänge, Töne und Sprache angesprochen werden können. Gleichzeitig werden Empfindungen mittransportiert. Vertrauen, Geborgenheit und Nähe klingen mit. Messungen zeigen, dass eine vertiefte und regelmäßigere Atmung und ein langsamerer Herzschlag folgen – Entspannung und Beruhigung tritt ein.

Musiktherapie für Wachkoma-Patienten

Daher wird Musiktherapie als Begleittherapie bei Patienten im Wachkoma eingesetzt. Bei diesen Patienten ist es durch äußere Einflüsse wie einem Unfall, Blutungen im Gehirn oder zeitweiligem Sauerstoffmangel zu nachhaltigen Schädigungen gekommen. Früher ging man davon aus, dass Menschen im Wachkoma ihre Umwelt nicht wahrnehmen. Oft liegen diese Patienten mit geöffneten Augen, aber fast bewegungslos in ihren Betten. Außenstehenden Beobachtern fällt es schwer einzuschätzen, was in ihnen vorgeht.

Heute weiß man, dass Wachkoma-Patienten auf Zuwendung und gezielt angebotene Sinnesreize reagieren. Bei vielen Patienten stellt sich im Verlauf des Wachkomas eine Besserung ein, die vorübergehend oder auch dauerhaft sein kann. Daher werden musiktherapeutische Maßnahmen auch vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger empfohlen.

Aktualisiert: 30.06.2017
Autor*in: Susanne Köhler

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