Senior mit grantigem Gesichtsausdruck
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Verhaltensstörungen im Alter – gehässig, misstrauisch, aggressiv

Von: Initiative Altern in Würde, Silke Schwertel (geb. Hamann) (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 04.05.2022 - 10:06 Uhr

Im Rahmen einer Demenz kann es im Alter zu Wesensveränderungen kommen. Viele Menschen mit einer Demenzerkrankung zeigen schwere Verhaltensauffälligkeiten, wie zum Beispiel Aggressionen in Worten und Taten, plötzliche Stimmungswechsel, Misstrauen gegenüber den Familienangehörigen oder unruhiges Umherlaufen in der Nacht. Solche Änderungen im Sozialverhalten sind oft Zeichen einer beginnenden Demenz – sofern aber noch keine entsprechende Diagnose vorliegt, stellen sie Angehörige oft vor ein Rätsel. Hier erfahren Sie, woher Veränderungen wie plötzliche Gehässigkeit, Aggressivität, Boshaftigkeit, Wahnvorstellungen, Sturheit oder Empathieverlust im Alter kommen können und erhalten Tipps zum Umgang mit "schwierigen" älteren Menschen.

Gründe für Wesensveränderungen im Alter

Demenz wird häufig nur mit Vergesslichkeit verknüpft, doch der allmähliche fortschreitende Verlust der kognitiven Leistungsfähigkeit und des Denkvermögens ist nur die eine Seite einer Demenzerkrankung, deren bekannteste Form der Morbus Alzheimer ist.

Die Erkrankung führt häufig auch zu Verhaltensauffälligkeiten. Oft wird das "grantige" Verhalten der alten Menschen mit dem zunehmenden Alter der Patient*innen begründet und als "normaler" Altersstarrsinn abgetan. Doch plötzliche Wesensveränderungen im Alter, wie Aggressivität, Unruhe, Misstrauen, Schimpfen und Schreien, sind ebenso Teil der Erkrankung.

Teils sind diese durch die Veränderungen im Gehirn bedingt, etwa die Beeinträchtigung des logischen Denkvermögens oder der Impulskontrolle. Teils sind sie auch eine Reaktion der Betroffenen auf ihre Situation und gehen auf Gefühle zurück wie:

  • Verunsicherung
  • Überforderung
  • Angst
  • Hilflosigkeit
  • Enttäuschung
  • Frustration
  • Schuldgefühle
  • Selbstzweifel

Versetzt man sich in die Lage der Betroffenen, erscheint ihr Verhalten oft weniger unverständlich: Wer sich nicht mehr an Personen oder gemeinsame Erlebnisse erinnert, reagiert unwillkürlich ablehnender gegenüber diesen Personen. Wer merkt, dass ihm einst selbstverständliche Dinge plötzlich schwerfallen, versucht dies zu verbergen und ist unzufrieden mit sich selbst, was oftmals negative Reaktionen auf "bevormundende" andere hervorruft.

Verhaltensstörungen lassen oft Familien zerbrechen

Für die Familie kann eine solche Erkrankung eine enorme Belastung darstellen, muss sie doch mit ansehen, wie ein geliebter Mensch vor ihren Augen geistig mehr und mehr verfällt, nicht mehr selbstbestimmt reagieren kann und zunehmend auf die Hilfe anderer angewiesen ist.

Noch weitaus gravierender sind mitunter die mit einer Demenz einhergehenden Verhaltensänderungen, die das Zusammenleben in der Familie am stärksten beeinträchtigen. Wenn ein geliebter Mensch plötzlich aggressiv, gehässig, boshaft, misstrauisch und feindselig gegenüber seinen nächsten Bezugspersonen reagiert, wenn er Wahnvorstellungen entwickelt, dann wird die ohnehin schon mühselige Pflege zusätzlich durch die enorme emotionale Belastung erschwert.

Oftmals sind gerade diese Verhaltensänderungen der Grund für eine Heimeinweisung und damit das Herausreißen der erkrankten Person aus ihrer vertrauten Umgebung – mit der Folge, dass Verunsicherung, Aggression und Hilflosigkeit verstärkt werden.

Die häufigsten Verhaltensstörungen

Eine Demenz kann zu unterschiedlichsten Wesensveränderungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Senioren*Seniorinnen führen. Die häufigsten Veränderungen der Persönlichkeit stellen wir Ihnen im Folgenden vor.

Welche Anzeichen außerdem auf eine beginnende Demenz hinweisen können, lesen Sie hier.

Rastlosigkeit, Herumwandern und Unruhe

Dies ist ein typisches Phänomen bei Menschen mit Demenz. Veränderungen im Antrieb sind oft ein erstes Zeichen für die Störungen im Gehirn. Die Betroffenen werden von einer inneren Unruhe getrieben, sie wollen ununterbrochen etwas tun, ohne jedoch zu wissen, was sie eigentlich tun wollten. Sie laufen umher, vergessen, was sie erledigen wollten, und fangen eine andere Tätigkeit an.

Gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus

Viele Demenzkranke leiden an Schlafstörungen. Sie wandern in der Nacht im Dunkeln herum. Die Angehörigen können dann aus Angst und Besorgnis vor Unfällen und Verletzungen oft auch nicht mehr schlafen. Im Gegensatz zu den Betroffenen, die dann tagsüber schlafen, können Familienmitglieder und Pflegende ihren Schlaf nicht mehr nachholen, was ebenfalls zu Konflikten führen kann.

Aggressionen und Wut

Demente verhalten sich oftmals – für die Angehörigen ohne erkennbaren Grund – aggressiv, und das nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten. Ausgelöst wird dieses Verhalten meist durch Angst oder auch aus Wut darüber, um etwas für die Erkrankten eigentlich Selbstverständliches bitten zu müssen.

Misstrauen und Feindseligkeit

Demenzkranke misstrauen plötzlich Vertrauten, Bekannten und Verwandten, sie reagieren ihnen gegenüber feindselig und ablehnend. Selbst die engsten Angehörigen werden beispielsweise verdächtigt, ihnen etwas entwendet, "gestohlen" zu haben.

Niedergeschlagenheit und Depression

Depressive Verstimmungen kommen – verursacht durch den geistigen Abbau – sehr häufig vor. Viele der Betroffenen merken, dass "irgendetwas" mit ihnen nicht mehr stimmt. Sie kommen mit ihrer Umwelt nicht mehr zurecht und wissen sehr wohl, dass sie auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Das macht sie niedergeschlagen und traurig, ohne dass sie etwas an ihrem Zustand ändern könnten.

Auch Teilnahmslosigkeit und Antriebslosigkeit können eine mögliche Ausprägung sein. Oft steckt Schamgefühl dahinter, wenn Betroffene sich immer mehr zurückziehen und soziale Kontakte meiden. So vereinsamen sie innerlich, weil niemand sie mehr versteht.

Halluzinationen und Wahnvorstellungen

Demenzkranke haben oftmals Sinnestäuschungen (Halluzinationen), das heißt sie sehen etwas, was es gar nicht gibt, sie hören nicht vorhandene Stimmen und Geräusche oder sie riechen etwas, das die Familie nicht wahrzunehmen in der Lage ist.

Viele der Betroffenen leiden auch an plötzlichen Wahnvorstellungen: So bezichtigen sie ihre Angehörigen des Diebstahls, sie fühlen sich von Fremden verfolgt oder erkennen sich im Spiegel selbst nicht mehr und glauben, eine fremde Person stünde ihnen gegenüber.

Auf erste Warnhinweise achten

Vor allem die Verhaltensauffälligkeiten zeigen sich meist schon zwei bis drei Jahre, bevor die Diagnose "Demenz" gestellt wird. Vielfach werden die Verhaltensstörungen zunächst abgetan als "normale" Begleiterscheinungen des Älterwerdens, dabei sind sie der erste Warnhinweis auf eine vielleicht drohende Demenz. Je früher eine Demenz diagnostiziert wird, desto früher kann eine passende Therapie eingeleitet werden.

Hier sind die Angehörigen gefordert. Sobald Sie die ersten Anzeichen einer Verhaltensänderung feststellen, sollten Sie mit der betroffenen Person den*die Hausarzt*Hausärztin aufsuchen, damit entsprechende Tests und Untersuchungen durchgeführt werden können. Dies kann sich oftmals schwierig gestalten, da den Betroffenen in aller Regel die Krankheitseinsicht fehlt, sie streiten Fehler ab oder leugnen die Veränderungen – dies ist Teil ihrer eigenen Bewältigungsstrategie.

Dennoch sollten Sie auf den Arztbesuch bestehen. Denn auch wenn es heute noch nicht möglich ist, eine Demenz zu heilen, so können Symptome wie Aggressivität, Misstrauen oder ein gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus doch wirksam gemindert oder sogar behoben werden. Dadurch gibt die Therapie den Betroffenen die Möglichkeit, frühzeitig aktiv auf ihre Lebensplanung Einfluss zu nehmen.

Wichtig ist auch die Abklärung, ob es sich tatsächlich um eine Demenz handelt, denn auch andere Erkrankungen, beispielsweise eine Depression, Schwerhörigkeit oder eine fehlerhafte Funktion der Schilddrüse können zu Veränderungen führen, die mit einer Demenz verwechselt werden können.

7 Tipps im Umgang mit Betroffenen

Für Angehörige ist der Umgang mit Demenzkranken oft schwer, denn diese können ihren Gefühlen nicht mehr mit dem Verstand begegnen. Die erkrankten Personen werden als schwierig, boshaft, streitsüchtig, starrsinnig oder aggressiv empfunden – umgekehrt verschlimmert fehlendes Verständnis der Angehörigen die Situation für die Erkrankten oft, sodass diese umso feinseliger reagieren.

Folgende Tipps können helfen, den Umgang mit Demenzkranken zu erleichtern:

  1. Weisen Sie Betroffene möglichst nicht auf Fehler hin oder kritisieren sie, das beunruhigt oder beschämt sie meist nur. Sie sollten auch nicht erwarten, dass die Person ihre Handlungen rational erklären kann. Stattdessen kann es helfen, über Negatives hinwegzusehen und Positives durch Lob und Ermutigung zu bestärken.
  2. Vermeiden Sie Diskussionen oder Streitereien, in denen Sie Betroffene mit logischen Argumenten zu überzeugen versuchen. Sind Zusammenhänge für die Person nicht mehr nachvollziehbar, führt das oft nur zu Zorn und Unzufriedenheit. Besser ist es, abzulenken oder der Person recht zu geben.
  3. Sorgen Sie für eine gleichbleibende Struktur im Tagesablauf, Routinen und eine vertraute Umgebung.
  4. Wenn etwas die Person beunruhigt oder verunsichert (zum Beispiel dunkle Zimmerecken oder Teppichmuster), versuchen Sie, die Ursache zu beseitigen oder auf emotionaler (nicht logischer) Ebene zu trösten und zu beruhigen. Körperkontakt wirkt dabei oft positiv.
  5. Aggressionen entstehen oft aus Unsicherheit heraus. Gelassenheit, Beruhigung und Ablenkung helfen oft, Sicherheit zu geben und den Widerwillen gegen die Situation zu lösen. Entziehen Sie sich gewaltsamen Konfrontationen und versuchen Sie nicht, die Person festzuhalten oder zu bedrängen.
  6. Versteckt die Person aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus Gegenstände, die sie später nicht mehr findet und daher für gestohlen hält, helfen Sie ihr beim Suchen und beruhigen Sie sie. Wenn möglich, behalten Sie den Überblick darüber, wo die Gegenstände normalerweise versteckt werden.
  7. Und zu guter Letzt: Versuchen Sie, das Verhalten der erkrankten Person nicht persönlich zu nehmen. Es geschieht nicht absichtlich, sondern ist ein Symptom der Erkrankung.

Scheuen Sie sich nicht, frühzeitig Hilfe zu suchen – seien es Informationen über den Umgang mit Erkrankten oder Hilfe bei der Betreuung und Pflege, die Ihrer Entlastung dienen.

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