Schweinegrippe-Virus
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Schweinegrippe: der Virus H1N1 und seine neue Form G4

Von: Dagmar Reiche (Ärztin und Medizinautorin), Daniela Heinisch (Medizinautorin), Nadja Annerl (geb. Weber) (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 15.07.2020 - 16:10 Uhr

Die Schweinegrippe versetzte im Jahr 2009 Menschen rund um den Globus in Angst und Schrecken – nach kürzester Zeit hatte sie von den ersten Erkrankungs- und Todesfällen in Mexiko auch den Sprung über den Atlantik geschafft. Viele Menschen fürchteten eine Katastrophe internationalen Ausmaßes. In den Medien jagte zunächst eine Horrormeldung die andere. Im Sommer 2020 wurde in China eine neue Form des Virus entdeckt. Was steckt tatsächlich hinter dem Erreger H1N1 und wie gefährlich ist seine neuere Mutation mit dem Namen G4?

Was ist die Schweinegrippe?

Obwohl der Namen Schweinegrippe (auch: Schweineinfluenza) im ersten Moment irreführend klingen kann, betrifft die Erkrankung nicht nur Schweine, sondern auch Menschen. Die seit 2009 bekannte Variante der Schweinegrippe wird durch ein neuartiges, bis dato unbekanntes Grippevirus hervorgerufen.

Schweinegrippeviren gehören zu den Influenza-Viren Typ A, die schon seit der Spanischen Grippe kurz nach dem Ersten Weltkrieg bekannt sind. Der Erreger der im Jahr 2009 entdeckten Schweinegrippe trägt die Bezeichnung A/California/7/2009 (H1N1).

Die Influenza-Viren Typ A haben zahlreiche Subtypen, die je nach Art der Eiweißhülle mit H für Hämagglutinin und N für Neuraminidase bezeichnet werden. Die meisten dieser Subtypen sind harmlos oder nur für Tiere gefährlich, der Subtyp Influenza A (H1N1) ist verantwortlich für die "normale" Grippe beim Menschen.

Typisch für Influenzaviren ist, dass sie sich ständig ändern und diese Mutationen damit vom Immunsystem erst einmal nicht mehr erkannt werden. Das ist auch der Grund dafür, dass die Grippeimpfung jährlich neu durchgeführt werden muss.

Ursprung der Schweinegrippe: Woher kommt sie?

Bei der allgemein als Schweinegrippe bezeichneten Variante des Subtyps H1N1 handelt es sich um eine sogenannte Reassortante (auch als "antigenic shift" bezeichnet). Dies ist eine schlagartige Mutation, die dadurch entsteht, dass zwei oder mehr Subtypen ihr Erbmaterial austauschen. Damit können aus harmlosen, nur für Tiere gefährlichen Viren, plötzlich aggressive Varianten entstehen, die auf ungewöhnlichem Weg übertragen werden können und gegen die erst mal kein Immunschutz besteht. Genau dies ist zum Beispiel auch bei der Vogelvirus-Epidemie passiert.

Schweine sind besonders prädestiniert als "Brutstätte" solcher Mutationen. Das liegt daran, dass ihr Immunsystem Rezeptoren für die Eiweiße (Hämagglutinine) verschiedener Virensubtypen besitzt, eine Zelle also recht einfach mit mehreren Viren gleichzeitig infiziert werden kann.

Es gibt verschiedene Arten der Schweinegrippe. Im Schweinegrippevirus von 2009 sind zwei Stämme der Schweinegrippe und je ein Stamm von Vogelgrippe und der Grippe beim Menschen kombiniert. Die Symptome der Schweinegrippe ähneln damit auch den Symptomen anderer Grippe-Arten; als Unterscheidungsmerkmale treten lediglich Durchfall und Erbrechen auf.

G4-Virus: Pandemie-Gefahr durch weiteren Erreger der Schweinegrippe?

Im Sommer 2020 wurde das vermehrte Vorkommen eines neuen Schweinegrippe-Virus in China bekannt. Die Ausbreitung des neuen Erregers namens "Genotyp G4 reassortant Eurasian avian-like (EA) H1N1" (kurz G4) wurde mittels Nasenabstrich von Schweinen festgestellt.

Ein Team aus Wissenschaftlern hatte zwischen 2011 und 2018 an Schlachthöfen in zehn chinesischen Provinzen über 30.000 entsprechende Proben gesammelt. Die Ergebnisse der Studie wurden im Juli 2020 in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America" (PNAS) veröffentlicht.

Insgesamt wurden 179 verschiedene Schweinegrippe-Erreger gefunden. Besonders häufig kam jedoch das Virus G4 in den Proben vor. Laut Aussagen des chinesischen Forscher-Teams ist G4 hochinfektiös und in der Lage, sich in menschlichen Zellen zu vermehren.

Im Gegensatz zum Coronavirus SARS-CoV-2, welches vermutlich ebenfalls vom Tier auf den Menschen übertragen wurde und sich dann rasend schnell weltweit verbreitete, scheint sich G4 jedoch nach Einschätzung von Experten nicht zur nächsten Schweinegrippe-Pandemie zu entwickeln. Bislang gibt es in China nur wenige infizierte Personen, eine Übertragung von Mensch zu Mensch hat bisher nicht stattgefunden. Zudem gibt es gegen den Virus-Typ H1N1, zu dem G4 gehört, weltweit bereits einen gewissen Immunschutz. Auch dadurch unterscheidet sich die Schweinegrippe vom Coronavirus.

Wann war die letzte Schweinegrippe in Deutschland?

Die Schweinegrippe breitete sich im Jahr 2009 in Deutschland aus, verlief jedoch eher mild. Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnte in diesem Jahr dennoch vor einer möglichen weltumspannenden Epidemie ("Pandemie") – sie rief am 11. Juni 2009 die höchste Sicherheitsstufe aus. Von Fachleuten wurde der Krankheitserreger der Schweinegrippe als gesundheitliches Risiko von internationaler Bedeutung eingestuft, vergleichbar mit dem Auftreten von SARS im Jahr 2003.

Doch es gab auch Stimmen von Experten, die dafür plädierten, die Gefahr nicht zu überschätzen. So gingen nicht nur die Zahlen der an Schweinegrippe Erkrankten und Verstorbenen relativ schnell zurück, sie lagen von vorneherein bei Weitem unter den erwarteten Opferzahlen.

Im August 2010 erklärte die WHO die Schweinegrippe-Pandemie für beendet.

Wie gefährlich ist die Schweinegrippe?

Auch wenn die seit 2009 bestehende Variante der Schweinegrippe sich zunächst unerbittlich verbreitete, wurde sie bereits zu diesem Zeitpunkt von einigen Experten als nicht gefährlicher als der normale Influenzavirus eingeschätzt. Den Höhepunkt ihrer Verbreitung hatte die Schweinegrippe um den Jahreswechsel 2009/2010 erreicht. Zu Beginn des Jahres 2011 wurde die Schweinegrippe offiziell zur saisonalen Grippe erklärt.

Über die Gefährlichkeit der Schweinegrippe sind sich Experten uneinig: Manche Wissenschaftler gehen davon aus, dass besonders Ältere, Kranke und Kinder gefährdet sind, einen ernsthaften Verlauf zu erleiden; auch wenn auffällig ist, dass sich im Vergleich zu anderen Varianten der Grippe vorrangig junge, gesunde Erwachsene mit Schweinegrippe infizieren. Andere Fachleute dagegen vertreten die Meinung, dass zwar die Ansteckungsgefahr nicht größer ist als bei der gewöhnlichen Grippe, dafür aber das Risiko für einen tödlichen Ausgang.

Solche Vermutungen stehen allerdings im Widerspruch zu den absoluten Zahlen: Während in Deutschland jährlich zwischen 5.000 und 15.000 Menschen an der saisonalen Grippe sterben, belaufen sich die Todesfälle durch die Schweinegrippe laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) auf 258 Personen bei 226.000 gemeldeten Schweinegrippe-Fällen zwischen Herbst 2009 und August 2010. Eine Studie aus dem Jahr 2012 schätzt die Anzahl der auf die Schweinegrippe zurückzuführenden Toten im ersten Jahr auf 151.700 bis 575.400.

Wie wird die Schweinegrippe übertragen?

Die Infektion mit Schweinegrippe erfolgt primär von Schwein zu Schwein und von Schwein zum Menschen.

Darüber hinaus kann diese aggressive Variante der Schweinegrippe den eigentlich untypischen Verbreitungsweg von Mensch zu Mensch nehmen. Aufgrund dessen kann sich eine solche Erkrankung in unserer globalisierten Welt schnell verbreiten. Kein Wunder also, dass von den ersten bekannten Fällen in Mexiko und dem ersten Auftreten in Deutschland während der Pandemie 2009 nur zwei bis drei Wochen vergangen sind.

Wie kann man sich mit Schweinegrippe anstecken?

Die Symptome der Schweinegrippe treten nach einer Inkubationszeit von einem bis vier Tagen auf; ab Beginn der Inkubationszeit ist sie ansteckend. Die Ansteckung mit Schweinegrippe erfolgt wie bei der gewöhnlichen Grippe vor allem über Tröpfchen, die beim Husten oder Niesen in die Luft abgegeben werden.

Ähnlich wie beim Coronavirus ist also auch bei der Schweinegrippe die Ansteckungsgefahr in geschlossenen, schlecht belüfteten Räumen oder bei engem Körperkontakt am höchsten.

Entgegen des anfänglich herrschenden Volksglaubens ist ein Erkranken an Schweinegrippe durch den Verzehr von Schweinefleisch jedoch nicht zu befürchten.

Symptome bei Schweinegrippe

Das Spektrum der Erscheinungsformen von Schweinegrippe reicht von Fällen ohne Krankheitszeichen bis hin zu einem tödlich endenden Verlauf. Die gängigen Symptome der Schweinegrippe wie Fieber, Husten, Erkältungszeichen und Gliederschmerzen sind vergleichbar mit den Symptomen einer normalen Grippe.

Das heißt die Schweinegrippe lässt sich ohne weitere Blutuntersuchungen nicht erkennen. Zusätzlich können bei der Schweinegrippe aber noch weitere Symptome wie Erbrechen und Durchfall auftreten. Darüber hinaus verläuft sie oft atypisch zur normalen Grippe, da eine Schweinegrippe häufig mit Fieber beginnt, bevor weitere Symptome auftreten.

Das Robert-Koch-Institut bewertet folgende Zeichen als verdächtig für die Schweinegrippe: Fieber und mindestens zwei der Symptome einer akuten Atemwegsinfektion. Dazu gehören:

Diese Symptome gelten vor allem dann als Anzeichen einer Schweinegrippe, wenn sie in mindestens einem der folgenden Zusammenhänge auftreten:

  • nach dem Aufenthalt in einem als Risiko für Schweinegrippe definierten Gebiet
  • nach direktem Kontakt mit einer Person, die wahrscheinlich oder bestätigt eine Schweinegrippeinfektion hat oder an einer solchen verstorben ist
  • nach gleichzeitigem Aufenthalt in einem Raum mit bestätigten/m menschlichen Fall/Fällen von Schweinegrippe (zum Beispiel im Flugzeug)
  • bei der Arbeit in einem Labor, in dem Proben auf Schweinegrippevirus getestet werden

Schweinegrippe-Impfung und weitere Schutzmaßnahmen

Schweine können geimpft werden, um eine Ansteckung und so eine weitere Übertragung der Schweinegrippe zu vermeiden. Auch für Menschen wurde im Herbst 2009 eine große Impfaktion – die erste Massen-Impfung seit über 40 Jahren – gegen die Schweinegrippe gestartet. Die normale Grippeimpfung war zu jener Zeit wirkungslos gegen die Schweinegrippe.

Wie bei anderen Impfungen auch wurden bei der Impfung gegen die Schweinegrippe vorübergehende Nebenwirkungen wie Übelkeit, grippeähnliche Symptome oder Gelenk- und Muskelschmerzen festgestellt. Der unter anderem zur Impfung eingesetzte Wirkstoff "Pandemrix" stand außerdem im Verdacht, weitergehende Impfschäden in Form von schweren allergischen Reaktionen oder Narkolepsie auszulösen. Der Wirkstoff wird in Deutschland derzeit nicht mehr eingesetzt.

Inzwischen schützt auch der "normale" Grippeimpfstoff vor der Schweinegrippe. Eine Impfung gegen das neue Virus G4 existiert bisher nicht.

Da der Erreger über Tröpfchen übertragen wird, wurden ähnlich wie im Rahmen der Corona-Pandemie bei Ausbruch der Schweinegrippe in Mexiko größere Veranstaltungen abgesagt, Schulen geschlossen und von engem Körperkontakt abgeraten. Diese Maßnahmen waren bei nur vereinzeltem Auftreten von Erkrankungsfällen wie in Deutschland allerdings nicht gerechtfertigt.

Schutzmaßnahmen gegen Viren allgemein

Zum Schutz gegen die Schweinegrippe oder auch gegen die saisonale Grippe gibt es jedoch einige leicht zu befolgende Hygieneregeln, die spätestens seit der Corona-Pandemie jedem bekannt sein dürften.

Laut Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts sollte generell bei Virengefahr vor allem darauf geachtet werden, dass keine virenbelastete Sekrete in die Atemwege gelangen:

  • Waschen Sie sich häufig die Hände, besonders nach Personenkontakt und wenn Sie Kontakt mit Gegenständen hatten, die von möglicherweise mit der Schweinegrippe infizierten Personen angefasst wurden (beispielsweise Türgriffe in der Öffentlichkeit). Waschen Sie Ihre Hände auch vor dem Essen und nachdem Sie in die Hände geniest oder gehustet haben.
  • Bleiben Sie möglicherweise infizierten Personen fern.
  • Ebenso sollten Sie bei einer Grippe zu Hause bleiben, um andere Menschen nicht anzustecken.
  • Husten Sie in Ihre Armbeuge, statt in die Hand.
  • Fassen Sie möglichst selten Ihre Augen, Nase oder Mund an.

Dass das Auftreten des Schweinegrippevirus G4 zeitgleich mit der Coronavirus-Pandemie erfolgt, hat den Vorteil, dass die Bevölkerung für diese Schutz- und Hygienemaßnahmen ohnehin bereits sensibilisiert ist. Dieser Punkt spricht dafür, dass eine etwaige Ausbreitung des neuen Virus G4 schnell eingedämmt werden könnte.