Forscher mikroskopiert HTLV-1 Erreger
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HTLV-1 – ein Virus im Schatten von HIV

Von: Silke Schwertel (geb. Hamann) (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 17.07.2020 - 13:05 Uhr
HTLV-1 ist ein Virus, das in Deutschland kaum jemand kennt. Meist verursacht es keine Symptome, doch es kann Blutkrebs und andere Krankheiten auslösen.

HTLV-1 ist der Name eines Virus, das vergleichsweise unbekannt ist. Das ist kaum zu glauben, wenn man bedenkt, dass HTLV-1 eine schwere Form von Krebs auslösen kann. Doch die Entdeckung des Virus erfolgte zu einem Zeitpunkt, als das wissenschaftliche Interesse einem viel dringenderen Problem galt: der Erforschung von HIV. Heute hat sich das Virus nahezu unbemerkt in einigen Teilen der Welt ausgebreitet – es existiert weder eine Impfung noch eine Heilung. Lesen Sie hier, was über die HTLV-1-Infektion und ihre Übertragung bekannt ist.

Was ist HTLV-1?

Die Abkürzung HTLV steht für Humanes T-lymphotropes Virus. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Retrovirus, also ein Virus, welches in der Lage ist, sein eigenes Erbgut so zu verändern, dass es sich in die DNA seines Wirts integrieren und so dessen Erbgut verändern kann. Dadurch kann es beispielsweise Krebs verursachen.

Unter dem Namen HTLV werden verschiedene, eng miteinander verwandte Virus-Typen zusammengefasst. Bei HTLV-1 (auch: HTLV-I oder Humanes T-lymphotropes Virus 1) handelt es sich um den Typ 1, die zuerst entdeckte und zugleich bedeutendste Form. Früher verwendete man auch die Bezeichnung "Humanes T-Zell-Leukämie-Virus Typ 1".

HTLV-1: unbekannt und unerforscht

HTLV-1 wurde bereits 1980 durch den Forscher Robert Gallo und sein Team entdeckt. Dieser Fund war eine Sensation, denn zuvor waren beim Menschen keine Retroviren bekannt. 

Kurze Zeit später entdeckt man jedoch das Humane Immundefizienzvirus HIV, den Auslöser von AIDS. Dieses mit HTLV-1 verwandte Retrovirus wurde zunächst HTLV-3 genannt und rutschte aufgrund der rasant ansteigenden Verbreitung schnell in den Fokus der Wissenschaft. Die Forschung an HTLV-1 geriet in den Hintergrund und fast in Vergessenheit – infolgedessen ist das Virus heute vielen gar nicht bekannt.

Wie gefährlich ist HTLV-1?

Viele Menschen, die mit HTLV-1 infiziert sind, wissen nicht einmal von ihrer Infektion, denn in den meisten Fällen verursacht diese keine Symptome. Doch für etwa zehn Prozent der Betroffenen nimmt die Infektion einen schweren Verlauf:

  • Das Virus gilt als einer der möglichen Auslöser einer bestimmten Form von Blutkrebs. Bei bis zu fünf Prozent der Betroffenen verursacht es die Adulte T-Zell-Leukämie (ATL), eine Tumorerkrankung mit sehr geringer Lebenserwartung.
  • Etwa drei Prozent der Infizierten erkranken an der Tropischen Spastischen Parese (auch: HTLV-1-assoziierte Myelopathie). Dabei handelt es sich um eine neurologisch-degenerative Erkrankung des Rückenmarks.
  • Auch zeigte eine Studie, dass viele Betroffene an Bronchiektasie leiden, einer krankhaften Erweiterung der Bronchien.1 Ob HTLV-1 tatsächlich für dieses Lungenleiden verantwortlich ist, ist noch nicht geklärt.
  • Weitere mögliche Folgen sind Entzündungen der Haut (Dermatitis), der Augen (Uveitis), der Gelenke (Arthritis) und der Muskeln (Myositis) sowie eine Schwächung des Immunsystems.

Viele Betroffenen tragen das Virus mehrere Jahrzehnte in sich, bevor Symptome einer Erkrankung auftreten.

Übertragung des Virus

HTLV wird, ähnlich wie HIV, in erster Linie durch Geschlechtsverkehr übertragen – Wissenschaftler vermuten, dass dieser Übertragungsweg etwa 80 Prozent der Fälle ausmacht. Die Übertragung von einer Mutter auf ihr Kind über die Muttermilch ist jedoch ebenso möglich wie die Ansteckung über eine Bluttransfusion (Blutplasma gilt nicht als infektiös) oder eine Organtransplantation. 

Auch der gemeinsame Gebrauch von Spritzen bei Drogenabhängigen ist ein Übertragungsweg, der infrage kommt.

Diagnostik und Behandlung einer HTLV-1-Infektion

Ist das Virus einmal in den Körper gelangt, verbleibt es dort lebenslang. Die Diagnose erfolgt anhand eines Bluttests: Zeigt der Test Antikörper (IgG – Immunglobin-G) gegen HTLV-1 an, dient dies als Nachweis, dass das Virus im Organismus vorhanden ist. Man spricht dann von einer positiven HTLV-1-Serologie.

Eine Heilung für die Virusinfektion gibt es zurzeit nicht. Die Therapie erfolgt ausschließlich zur Behandlung der oben genannten Folgeerkrankungen. 

Wie kann man sich schützen?

Eine Impfung gegen HTLV-1 existiert nicht. Ähnlich wie bei HIV hilft die Verwendung von Kondomen, um einer Übertragung durch Geschlechtsverkehr vorzubeugen. 

Infizierte Mütter sollten auf das Stillen ihrer Kinder verzichten – in Japan konnte so die Zahl der Neuinfektionen drastisch gesenkt werden. Außerdem sollten Infizierte kein Blut, Sperma, Organe oder anderes Gewebe spenden.

Ausbreitung des Virus

Das Humane T-lymphotrope Virus Typ 1 tritt in Europa – mit Ausnahme von Großbritannien – kaum in Erscheinung. In Australien kommt es häufiger vor, vor allem unter Aborigines ist es verbreitet: Eine Studie unter den australischen Ureinwohnern von 2016 zeigte, dass fast jeder zweite Mann, der älter als 50 Jahre war, das Virus in sich trug.2

Zu den Endemiegebieten gehören außerdem:

  • der Süden Japans
  • die Karibik
  • der Iran
  • Teile Afrikas
  • bestimmte Regionen in Südamerika (zum Beispiel Brasilien)
  • die USA (wobei hier HTLV-2 die größere Rolle spielt und insbesondere unter bestimmten Bevölkerungsgruppen verbreitet ist)

Wie viele Menschen sind infiziert?

Man geht davon aus, dass derzeit weltweit zwischen 10 und 20 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert sind – Frauen sind generell häufiger betroffen. Wie viele Krebsfälle jährlich auf HTLV-1 zurückgehen, ist umstritten. Die Schätzungen belaufen sich auf 3.000 bis 10.000 Erkrankungen weltweit pro Jahr.

In Deutschland wird die Infektion nur bei wenigen Menschen diagnostiziert. Aufgrund der geringen Verbreitung gehört der Test auf das Virus jedoch weder bei Menschen noch bei Bluttransfusionen oder Spenderorganen zum Standard, sodass keine verwertbaren Zahlen vorliegen. Das Infektionsrisiko gilt allerdings als gering.

Weitere Typen von HTLV

Neben HTLV-1 gibt es noch weitere Typen des Humanen T-lymphotropen Virus.

HTLV-2 (auch: HTLV-II) wurde ebenfalls durch die Forschergruppe um Robert Gallo entdeckt. Welche Rolle das Virus bei der Entstehung menschlicher Krankheiten spielt, ist bis heute nicht geklärt. Die Zahl der Infizierten ist zudem deutlich geringer als bei HTLV-1, weshalb diesem Virustyp eine geringere Bedeutung beigemessen wird.

HTLV-3 war anfangs der Name des HI-Virus, wird in diesem Zusammenhang jedoch mittlerweile nicht mehr verwendet. Heute bezeichnet man mit HTLV-3 (oder: HTLV-III) und HTLV-4 (auch: HTLV-IV) zwei eng mit HTLV-1 und 2 verwandte Viren, die im Jahr 2005 in Kamerun entdeckt wurden. Über die Verbreitung und das Gefährdungspotenzial dieser Viren ist bislang noch nichts bekannt.