Autistischer Junge zählt Regentropfen an Fensterscheibe
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Autismus: Symptome & Bedeutung einer Autismus-Spektrum-Störung

Von: Nathalie Wagner (Studentin der Humanmedizin)
Letzte Aktualisierung: 22.01.2024 - 17:08 Uhr

Menschen mit Autismus meiden häufig den Kontakt zu anderen Menschen, weisen oftmals typische, stereotype Verhaltensmuster auf und flüchten sich gerne in Routinen, um einer Überforderung im Alltag entgegenzuwirken. Dieses Verhalten belastet nicht nur die betroffene Person selbst, sondern stellt auch für Angehörige und das soziale Umfeld wie Lehrende oder Erziehende in der Schule in vielen Fällen eine Herausforderung dar. Welche Symptome Menschen mit Autismus aufweisen, wie eine Autismus-Spektrum-Störung entsteht und ob sie heilbar ist, erfahren Sie in diesem Artikel.

Definition: Was ist Autismus?

Unter dem Begriff Autismus wird eine Vielzahl an tiefgreifenden Entwicklungsstörungen zusammengefasst, die durch eine verminderte Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitung entstehen. Betroffenen Personen fehlt die Fähigkeit, aufgenommene Reize nach ihrer Wichtigkeit zu filtern. Sie sind mit alltäglichen Problemen überfordert und zeigen in vielen Fällen stereotype Anpassungsreaktionen, die zwar jeweils für das Krankheitsbild typisch sind, zwischen den einzelnen Betroffenen jedoch individuell sehr verschieden sein können. Autismus ist also keine Erkrankung und auch keine Behinderung, sondern eine psychische Entwicklungsstörung.

Mittlerweile spricht man in der Medizin nicht mehr vom "klassischen Autismus", sondern von der sogenannten Autismus-Spektrum-Störung. Es wird nicht zwischen Unterformen des Autismus unterschieden, sondern von einem Erscheinungsbild ausgegangen, das ein breites Spektrum an unterschiedlichsten Symptomen aufweist. Die verschiedenen Ausprägungsformen gehen fließend ineinander über. Die Frage, ob es sich um eine autistische Persönlichkeitsstörung handelt oder nur einen starken Drang nach Routinen, kann dabei in einigen Fällen schwer zu beantworten sein.

Wie entsteht Autismus?

Es ist mittlerweile bekannt, dass die Autismus-Spektrum-Störung (im Folgenden einfach als Autismus bezeichnet) ihren Ursprung in neurobiologischen Ursachen hat. Sie entsteht also durch eine Fehlentwicklung des Gehirns und tritt meist bereits im Säuglingsalter auf.

Genetische Ursachen spielen ebenfalls eine Rolle bei der Entwicklung von Autismus, die Veranlagung zur Ausprägung von Symptomen kann also vererbt werden. Auch Umweltfaktoren (äußere Einflüsse) könnten dabei von Bedeutung sein. Generell wird vermutet, dass die Ursachen der Entstehung von Autismus multifaktoriell sind, dass also viele verschiedene Einflüsse zusammenwirken und gemeinsam verantwortlich sind.

Einige Theorien zur Entstehung der Autismus-Spektrum-Störung, wie etwa ein Einfluss der Mumps-Masern-Röteln-Impfung, konnten jedoch bereits hinreichend widerlegt werden.

Auch die genauen körperlichen Entwicklungsprozesse, die zu der Autismus-Spektrum-Störung führen, sind bislang unbekannt. Man weiß jedoch, dass Patient*innen die Fähigkeit fehlt, Wahrnehmungsreize zu filtern. Sie können sich beispielsweise in einem Café nicht auf das Gespräch mit ihrem Gegenüber konzentrieren, weil ihnen die Fähigkeit fehlt, die Hintergrundgeräusche der anderen Café-Gäste zu ignorieren. Dadurch wird ihr Gehirn dauerhaft mit zu vielen Informationen überschüttet, was zur schnellen Reizüberflutung führt.

Übrigens: Nutzt man in allen Ländern der Welt gleiche Testmethoden, so wird eine ähnliche Prozentzahl an Autisten und Autistinnen entdeckt. Die Persönlichkeitsstörung ist damit kulturübergreifend gleich häufig.

Symptome: Wie äußert sich Autismus?

Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung weisen eine große Vielfalt an möglichen Symptomen auf, die drei wichtige Lebensbereiche beeinflussen:

  1. Beeinträchtige soziale Interaktion: Der Umgang mit anderen Menschen fällt Betroffenen teilweise sehr schwer, da sie sich nicht in andere Personen hineinversetzen können. Zwischenmenschliche Beziehungen sind daher oftmals für beide Seiten eine große Herausforderung. Zudem werden Blickkontakt und Berührungen häufig gemieden.
  2. Beeinträchtige Kommunikation: Autistische Menschen haben häufig Probleme "richtig" zu kommunizieren. Ihnen fällt es beispielsweise schwer, zwischen den Zeilen zu lesen, Ironie zu verstehen, die Bedeutung der Körpersprache des Gegenübers zu erfassen oder auch Mimik und Gestik zu verstehen. Zudem kann sich die Sprechfähigkeit verzögert entwickeln oder es zeigen sich Besonderheiten in der Sprache wie das Wiederholen von Wörtern (Echolalie) oder eine monotone Betonung.
  3. Aufweisen von stereotypen Verhaltensmustern: Autisten und Autistinnen weisen als Abwehrreaktion infolge der Überreizung häufig stereotypes Verhalten auf, wie ein genau strukturierter Tagesplan oder monotone (sich ständig wiederholende) Tätigkeiten. Ihre Handlungen wirken ritualisiert, Veränderungen und ein Abweichen vom Plan können zu starken Angstzuständen und Unruhe führen. Manchmal zeigen sich besondere Interessen für spezielle Themen oder Dinge.

Overload, Meltdown, Shutdown – was ist das?

Da Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung Schwierigkeiten haben, zu filtern, können zu viele Reize auf einmal zu einem sogenannten (Sensory) Overload führen. Dies kann sich durch individuell unterschiedliche Anzeichen äußern, etwa durch Hin- und Herschaukeln oder monotone Bewegungen.

Besteht dann weiterhin keine Möglichkeit, sich den Reizen zu entziehen, kann ein sogenannter Meltdown die Folge sein. So wird es bezeichnet, wenn eine autistische Person ihr eigenes Verhalten nicht mehr kontrollieren kann und beispielsweise schreit oder um sich schlägt – für Außenstehende können diese Verhaltensweisen wie ein Wutausbruch aussehen.

Eine solche Situation kann in einem sogenannten Shutdown gipfeln, bei dem die Person nicht mehr ansprechbar ist und sich vollkommen zurückzieht – etwa indem sie sich in eine Zimmerecke kauert oder eine Bettdecke über den Kopf zieht. Die Verwendung dieser drei Begriffe ist in der Fachwelt allerdings umstritten.

Welche Formen von Autismus gibt es?

Generell ist die Autismus-Spektrum-Störung ein sehr variables Krankheitsbild und Betroffene zeigen die oben genannten Merkmale in unterschiedlichster Ausprägung.

Seit dem Jahr 2022 werden keine einzelnen Formen des Autismus mehr unterschieden. Vielmehr wird von einem fließenden Übergang zwischen den Untergruppen ausgegangen. Im klinischen Alltag wird jedoch auch heute noch zwischen zwei großen Formen unterschieden, dem frühkindlichen Autismus und dem Asperger-Syndrom:

  • Frühkindlicher Autismus: Der frühkindliche Autismus (auch Kanner-Syndrom oder Kanner-Autismus) tritt bereits in frühester Kindheit auf. Erste Anzeichen äußern sich bereits in den ersten beiden Lebensjahren durch stereotypes Verhalten, Desinteresse an anderen Menschen und starre Vorlieben. Es zeigen sich häufig eine starke Verzögerung der Sprachentwicklung sowie kognitive und geistige Beeinträchtigungen. Meist wird die Diagnose etwa im Alter von drei Jahren gestellt, da hier eine verlangsamte normale Entwicklung oder andere Ursachen für die Entwicklungsverzögerung sicher ausgeschlossen werden können.
  • Asperger-Syndrom: Die frühkindliche Entwicklung beim Asperger-Syndrom (oder auch hochfunktionaler Autismus) ist meist unauffällig, sodass eine Diagnose erst im Grundschulalter (oder in einigen Fällen sogar erst im Erwachsenenalter) gestellt wird. Kinder mit Asperger-Syndrom weisen häufig eine erhöhte Intelligenz auf, haben jedoch Probleme im Umgang mit anderen Kindern. Sie weisen oftmals ebenfalls Stereotypien auf, die jedoch häufig schwächer ausgeprägt sind als bei Personen mit frühkindlichem Autismus. Im Übrigen ist das Asperger-Syndrom heute nicht nur keine eigenständige Diagnose mehr, sondern auch die Bezeichnung ist aufgrund der Rolle ihres Namensgebers Hans Asperger im Nationalsozialismus höchst umstritten.

Neben diesen beiden Formen wurden früher weitere Unterformen unterschieden, wie etwa der atypische Autismus. Diese Einteilung wird jedoch nicht mehr verwendet.

Diagnose – durch welche Tests man eine Autismus-Spektrum-Störung erkennen?

Da sich der Verdacht auf Autismus meist bereits im Kindesalter erhärtet, wird eine Diagnose in der Regel von Fachleuten aus dem Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie gestellt. Dazu werden standardisierte Fragebögen und ausführliche Gespräche (Anamnese) genutzt, um den Verdacht zu bestätigen. Auch eine körperliche Untersuchung sowie die Beobachtung der Sprachentwicklung und Intelligenztests können Hinweise auf eine Autismus-Spektrum-Störung liefern.

Haben Eltern den Verdacht, ihr Kind könne an Autismus leiden, oder wenn Erwachsene bei sich selbst eine bislang nicht diagnostizierte Autismus-Spektrum-Störung vermuten, kann bereits im Vorfeld zu einem Arztbesuch ein sogenanntes Autismus-Screening gemacht werden (anonymer Online-Test). Dieser ersetzt jedoch nicht die Einschätzung einer geschulten Person.

Wesentlich seltener wird Autismus erst bei Erwachsenen diagnostiziert. Jedoch ist auch diese Form des Autismus möglich. Die Diagnostik ist ähnlich, jedoch meist langwieriger als bei Kindern. Insbesondere bei Frauen erfolgt die Diagnose mitunter erst im Erwachsenenalter, weil sich weiblicher Autismus in manchen Fällen weniger auffällig äußert und sich typische Verhaltensweisen nicht so deutlich zeigen.

Therapie: Wie erfolgt die Behandlung bei Autismus?

Wird die Diagnose Autismus-Spektrum-Störung gestellt, richtet sich die Behandlung stark nach den jeweils schwerwiegendsten Symptomen, nach dem Alter der Person und deren individuellen Bedürfnissen. Ein früher Beginn der Therapie ist dabei erfolgsentscheidend.
Ziel der Behandlung ist nicht die Heilung der Autismus-Spektrum-Störung, da Autismus aktuell nicht heilbar ist. Vielmehr sollen bestehende Defizite ausgeglichen werden, Bewältigungsstrategien erlernt und den Betroffenen ein selbstständiges Leben ermöglicht werden.

Besonders im Kindesalter richtet sich die Therapie dabei nicht nur auf die Patient*innen selbst, sondern auch auf das soziale Umfeld (zum Beispiel Eltern oder Lehrkräfte), welches einen großen Einfluss auf die gute Entwicklung der Kinder oder Jugendlichen haben kann. Für die richtige Unterstützung ist es entscheidend, dass auch die Menschen im Umfeld ein Verständnis für die verschiedenen Verhaltensweisen und den passenden Umgang damit entwickeln.

Die Therapie wird dabei immer auf die einzelne Person und ihre individuellen Bedürfnisse abgestimmt.

Für betroffene Personen ist es wichtig, als störend empfundene Verhaltensmuster abzulegen und zu lernen, wie man sich in überfordernden Situationen behaupten kann, sowie diese Situationen bereits frühzeitig zu erkennen.

Begleitende Ergo- und Physiotherapie können helfen, motorische Defizite auszugleichen. Meist werden Betroffene ebenfalls durch eine logopädische Therapie (Sprachtherapie) begleitet, welche beim Bewältigen von sprachlichen Rückständen hilft.

Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung lernen, sich sowohl im Privatleben als auch im öffentlichen Raum Rückzugsmöglichkeiten zu schaffen und einer Reizüberflutung aktiv entgegenzuwirken.

Eine medikamentöse Therapie des Autismus ist aktuell nicht möglich. Begleitende Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen können bei Bedarf jedoch mithilfe von Psychopharmaka (Medikamente für psychische Erkrankungen) therapiert und die Symptome gemindert werden.

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