Muskelschwund: Symptome, Therapie & Lebenserwartung

Mann mit Muskelschwund
© Steve Buissinne

Zwischen 600 und 800 verschiedene Krankheiten gehören zu der großen Gruppe neuromuskulärer Erkrankungen, die mit Muskelschwund einhergehen, zu leichtem Humpeln, aber auch Atemaussetzern führen können und für die es bisher keine Heilung gibt. Erfahren Sie hier mehr über verschiedene Muskelschwund-Formen, typische Symptome bei Muskelschwund sowie die Lebenserwartung und Therapie bei der Erkrankung.

Was versteht man unter Muskelschwund?

Beim Muskelschwund kommt es aufgrund meist erblicher Ursachen zur Rückbildung der Muskulatur am Rumpf, an Armen und Beinen, aber auch im Gesicht, und im Inneren des Körpers wie der Schluckmuskulatur, der Herzmuskulatur oder den Augenmuskeln.

Unter Muskelschwunderkrankungen versteht man eine Gruppe von je nach Klassifikation 600 bis 800 sehr unterschiedlichen Krankheiten, bei denen ein genetischer Defekt entweder zum Absterben der Muskelzellen führt (myogener Muskelschwund), bei denen die die Muskeln versorgenden Nervenzellen absterben (neurogener Muskelschwund) oder bei denen die Übertragung von Nervenimpuls zu Muskel z.B. durch Autoantikörper wie bei der Myasthenie (Myasthenia gravis) gestört ist.

Während Erkrankungen der ersten Gruppe meist Myodystrophien oder Myopathien genannt werden, heißen die der zweiten Gruppe (spinale) Muskelatropien. Zusammen werden sie neuromuskuläre Erkrankungen genannt.

Muskelschwund: Formen und Namensgebung

Muskelschwunderkrankungen sind entweder nach ihrem Entdecker (Werdnig-Hoffmann, Kugelberg-Welander, Duchenne, Becker-Kiener) oder nach der Körperregion benannt, in der sie sich abspielen: So ist beim fazio-skapulo-humeralen Typ hauptsächlich Gesicht, Schulterblatt und Oberarm betroffen, beim okulo-pharyngealen Typ die Augen und die Schluckmuskulatur.

Je nach Form kann die Erkrankung bereits beim Ungeborenen oder in den ersten Lebensmonaten auftreten, andere Formen entwickeln sich erst in späteren Jahren. Je eher die Erkrankung auftritt, desto aggressiver ist meist ihr Verlauf. Während frühe Formen oft zum Tod in den ersten zwei Lebensjahrzehnten führen, kommt es bei späterem Auftreten der Krankheit meist nur zu wenigen Ausfällen durch den Muskelschwund und die Lebenserwartung ist nicht eingeschränkt.

Ausnahmen bilden zum einen die nicht erbliche Muskelschwunderkrankung Amyotrophe Lateralsklerose, die meist erst in fortgeschrittenem Lebensalter auftritt, eine rasche Verschlechterung der Beschwerden aufweist und nach wenigen Jahren zum Tode führt, zum anderen die Myasthenia gravis, bei der der Körper Autoantikörper gegen die Überträgersynapsen an den Muskelzellen produziert. Neben einer schnellen Muskelermüdung, die sich meist in Doppelbildern äußert, findet sich oft ein Thymustumor.

Therapeutisch kann den Betroffenen oft mit einer Thymusentfernung und Medikamenten geholfen werden, die das Immunsystem unterdrücken. Besonders problematisch am Muskelschwund ist das Absterben der Muskeln, die als Atemhilfsmuskulatur die Atmung unterstützen. Je stärker diese Muskulatur betroffen ist, desto schwerer fällt das tiefe Durchatmen – es gelangt auf Dauer zu wenig Sauerstoff in den Körper. Daneben kann die Erkrankung auch die Schluck- und Herzmuskulatur befallen – Schluckstörungen und eine ausgeprägte Herzschwäche können die Folgen sein.

Von diesen Erkrankungen wird die normale Muskelatrophie abgegrenzt, die nach längerer Ruhigstellung eines Körperteils, z.B. eines Armbruchs in einer Gipsschiene, oder nach Bettlägerigkeit bei einer längeren Erkrankung auftritt. Dabei gehen allerdings keine Muskelzellen zugrunde, sondern die einzelnen Muskelzellen schrumpfen mit der Abnahme der an sie gestellten Anforderungen einfach, um nach der Erkrankung und der erneuten Belastung wieder an Umfang zuzunehmen.

Symptome: Wie äußert sich Muskelschwund?

Allen Muskelschwunderkrankungen ist gemeinsam, dass Bewegungen, für die die betroffenen Muskeln benötigt werden, zuerst nicht mehr flüssig, später nur noch unvollständig oder gar nicht mehr ausgeführt werden können. Wenn also die Beinmuskeln betroffen sind, können erste Anzeichen für eine Muskelschwunderkrankung darin bestehen, dass man häufiger stolpert, die Kraft schneller nachlässt und die Beine schneller ermüden.

Bei einem Beginn der Erkrankung in den ersten Lebensmonaten kann selbst das Laufenlernen unmöglich sein. Bei einem Beginn im Kleinkindesalter gehen bereits erlernte Fähigkeiten wie das Treppensteigen wieder verloren, das Aufstehen aus der Hocke ist irgendwann nur noch möglich, in dem sich der Betroffene an sich selbst hochzieht (also mit den Armen abstützt, um eine senkrechte Lage zu erreichen).

Anzeichen für Muskelschwund bei Kindern

Kinder mit Muskelschwund zeigen einen charakteristischen Watschelgang und haben häufig kräftige Waden, die nicht auf eine vermehrte Muskulatur, sondern eine Einlagerung von Fettgewebe zurückzuführen ist. Bei den schwereren Formen des Muskelschwunds führt die eingeschränkte Beweglichkeit unweigerlich zu einer gekrümmten Körperhaltung und zu Kontrakturen der Muskulatur, sodass das Gehen irgendwann nicht mehr möglich ist.

Das Sitzen im Rollstuhl und die gekrümmte Körperhaltung fördert das Fortschreiten der Erkrankung insofern, als dass die Körperhaltung die Atemmuskulatur nicht mehr unterstützen kann und das Durchatmen immer schwerer fällt. Die schlechte Durchlüftung der Lungen führt vermehrt zu Atemwegsinfektionen und einer eingeschränkten Lungenkapazität. Die chronischen Lungeninfektionen und die zunehmende Ateminsuffizienz sind letztlich der Hauptgrund für die herabgesetzte Lebenserwartung.

Wie erkennt man eine zu Muskelschwund führende Erkrankung?

Neben den typischen klinischen Symptomen, die je nach Typ an unterschiedlichen Muskelgruppen stärker ausgeprägt sind und dem Arzt oft schon den Weg zur Diagnose weisen, führen Laboruntersuchungen und Funktionstests zur Diagnose. Bei den Muskeldystrophien kommt es typischerweise zu einer Erhöhung der Muskelenzyme im Blut, was durch den massiven Abbau der Muskelmasse bedingt ist.

Bei allen Formen des Muskelschwunds zeigen sich typische Veränderungen in der Elektromyografie. Die Muskelaktivität ist pathologisch verändert – bei den Dystrophien sieht man viele kleine Entladungen, bei den nerval bedingten Formen kommt es zu einer massiven Abnahme von Einzelentladungen. Mit einer Muskelbiopsie und Gentests lassen sich die einzelnen Formen abschließend voneinander abgrenzen.

Was kann man gegen Muskelschwund tun?

Muskelschwunderkrankungen sind bislang nicht heilbar, doch setzen viele Betroffene und ihre Angehörigen große Hoffnungen in die Gentherapie. Zwar werden weltweit in vielen Forschungseinrichtungen an dem Gendefekt, seinen Auswirkungen auf den Körper und möglichen Gegenmaßnahmen geforscht – ein gentechnisch hergestelltes Mittel gegen auch nur eine Form des Muskelschwunds wurde leider bisher nicht gefunden.

Alle therapeutischen Maßnahmen zielen daher darauf ab, die durch den Muskelschwund bedingten Bewegungs- und Koordinationsausfälle auszugleichen und aufzuhalten. Daneben müssen Folgeerscheinungen wie Kontrakturen, rollstuhlpflichtige Gehbehinderungen oder Atemwegserkrankungen, die durch die verminderte Hustentätigkeit entstehen, behandelt werden. Da viele Formen von Muskelschwund für Betroffene äußerst belastend sind und für ihre Angehörige oft einen enormen Pflegeaufwand darstellen, sind Tipps für den täglichen Umgang mit der Erkrankung sehr willkommen.

Selbsthilfegruppen bei Muskelschwund

Viele Selbsthilfegruppen und die Initiativen Deutsche Muskelschwundhilfe und die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke haben langjährige Erfahrungen mit den verschiedenen Formen des Muskelschwunds vorzuweisen. Die Weserbergland-Klinik Höxter ist in Deutschland die Fachklinik für Muskelerkrankungen.

Therapie in einer Klinik

Gerade bei Patienten mit schwereren Formen von Muskelschwund hilft das Klinikprogramm, ein Fortschreiten der Krankheit aufzuhalten. Es besteht aus:

Patienten, die sich jährlich für mehrere Wochen dem Klinikprogramm unterziehen, berichten von monatelang anhaltenden Beschwerdebesserungen.

Kann man einer Muskelschwunderkrankung vorbeugen?

Da fast alle Formen von Muskelschwund erblich sind, kann man ihnen nicht vorbeugen. Das Vertrackte an ihnen ist, dass sie häufig einem autosomal oder X-chromosomal rezessiven Vererbungsmodus folgen. Im Klartext bedeutet das, das augenscheinlich gesunde Menschen Überträger der Krankheit sein können und die Krankheit so über Generationen weitergegeben wird, ohne dass ein Familienmitglied zwingend erkrankt.

Eine Austestung, ob jemand Überträger einer der vielen Muskelschwundformen ist, ist zur Zeit noch nicht möglich und bei dem durchaus variablen Verlauf vieler Formen auch hinsichtlich ethisch-moralischer Aspekte der Konsequenzen vielleicht nur bedingt wünschenswert.

Aktualisiert: 24.12.2015
Autor*in: Nathalie Blanck

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