Gutachten empfiehlt Anpassungen im Gesundheitssystem bei innovativer Arznei
Die Kosten für Arzneimittel sind der zweitgrößte Ausgabeposten in der gesetzlichen Krankenversicherung. Um dabei die Preisspirale bei innovativen Medikamenten zu stoppen, haben Gutachter nun Anpassungen im Gesundheitssystem vorgeschlagen. Der im Bundesgesundheitsministerium angesiedelte Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege legte am Donnerstag ein Gutachten vor, das etwa auf die stärkere Prüfung des Nutzens neuer Medikamente und spätere erneute Preisverhandlungen abzielt. Die Pharmaindustrie verwies indes auf den Zusammenhang von Preisniveau und Investitionen in die Forschung.
"Wir wollen Wege aufzeigen, wie auch in Zukunft Patienten innovative Therapien und teure Medikamente erhalten können", sagte dazu der Onkologe Michael Hallek, Mitglied im Sachverständigenrat, bei einer Pressekonferenz. Der Mediziner Jochen Schmitt ergänzte, es gehe darum, die "Preisbildungsmechanismen für innovative Arzneimittel zu überprüfen".
Dem Gutachten zufolge lag der Durchschnittspreis eines neu eingeführten patentgeschützten Arzneimittels vor 15 Jahren bei rund 1000 Euro - zuletzt schwankte er bei um die 50.000 Euro. Nach Angaben von Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) stieg der Anteil der Kosten für Arzneimittel in der Krankenversicherung im vergangenen Jahr um zehn Prozent und damit stärker als die Gesamtkosten.
Die Gutachterinnen und Gutachter verwiesen darauf, dass durch den medizinischen Fortschritt künftig noch mehr hochpreisige Medikamente für noch größere Patientengruppen zu erwarten seien, daher drohe eine "Überforderung des Systems". Das Gutachten empfiehlt deshalb ein "lernendes Gesundheitssystem". So müssten etwa Erkenntnisse über Wirkung und Nutzen der innovativen Medikamente gesammelt, regelmäßig evaluiert und "für Preisnachverhandlungen genutzt" werden.
Die Preisverhandlungen orientieren sich grundsätzlich am Zusatznutzen der Neuheiten verglichen mit einer "zweckmäßigen Vergleichstherapie". Die Gutachterinnen und Gutachter empfehlen hier automatische Preisanpassungen bei den neuen Medikamenten, wenn die Kosten für die Vergleichstherapie sinken.
Die Preise für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen werden zwischen den Unternehmen und dem GKV-Spitzenverband verhandelt. Gelingt keine Einigung, entscheidet eine Schiedsstelle, die GKV muss das akzeptieren. Das Gutachten gibt dabei zu bedenken, dass die Pharmaunternehmen "aus einer Position der Stärke" heraus verhandeln, weil sie die Arznei jederzeit zurückziehen könnten. Das Gutachten empfiehlt daher, dass die GKV auch von den Verhandlungen zurücktreten darf.
Nicht zuletzt gehe es bei den Betrachtungen aber auch darum, die Standortfähigkeit der pharmazeutischen Unternehmen zu erhalten, die eine "hohe Bedeutung für die Wirtschaft" hätten, sagte die Gesundheitsökonomin Leonie Sundmacher, ebenfalls Mitglied im Sachverständigenrat. Daher sei eine "gezielte Standortförderung" der Firmen nötig, sagte sie an die Politik gerichtet. Sie nannte etwa die Entlastung von unnötiger Bürokratie sowie steuerfinanzierte Fördermaßnahmen.
Warken sprach von einem "sehr schwierigen Thema". Es müsse eine Balance gefunden werden, den Betroffenen rasch Zugang zu neuen Arzneimitteln zu verschaffen, gleichzeitig den Pharmastandort Deutschland zu stärken und auch die Preisentwicklung im Blick zu behalten, auch "in Hinblick auf mögliche Beitragssteigerungen", sagte sie bei der Entgegennahme des Gutachtens.
Der Branchenverband Pharma Deutschland betonte, das Preisniveau von Arzneimitteln habe auch einen großen Einfluss auf die künftige Höhe der Investitionen in Forschung und Entwicklung am Standort Deutschland. "Wer Innovationen will, muss Forschung und Entwicklung möglich machen", argumentierte der Verband. Dazu brauche es "ein verlässliches wirtschaftliches Fundament – dazu gehört auch eine faire und innovationsfreundliche Preisgestaltung mit gesamtwirtschaftlichem Blick".
Dem Gutachten fehle "der Blick über den eigenen Tellerrand", kritisierte der Verband. Die Sichtweisen derjenigen, die nicht aus dem unmittelbaren Umfeld der Kostenträger kamen, seien "stark unterrepräsentiert" gewesen oder hätten ganz gefehlt.