Mutismus bei Kindern
© Qimono (Symbolfoto)

Mutismus bei Kindern

Von: pgk, Jasmin Rauch (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 10.05.2023 - 10:11 Uhr

In vertrauter Umgebung spielt es mit seinen Geschwistern und den Eltern, lacht und tobt. Kommt jedoch eine Person unvermittelt hinzu, ändert sich das Verhalten schlagartig: Plötzlich kommt dem Kind kein Wort mehr über die Lippen, es schweigt, schaut weg, "klinkt" sich völlig aus. Kennen Sie das auch von Ihrem Nachwuchs? Eventuell ist Ihr Kind von Mutismus betroffen, einer Angststörung. Besonders häufig tritt Mutismus bei Kindern auf. Die gesamte sprachliche, kognitive, soziale und emotionale Entwicklung ist vom mutistischen Verhalten betroffen. Dies hat Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung, die Ich-Identität und das Selbstbewusstsein. Der Betroffene hat Schwierigkeiten in der Schule, der Ausbildung oder im Beruf und wird teils von anderen Leuten gemieden. Was sind Ursachen und Symptome des Mutismus?

Definition: Was ist Mutismus?

Mutismus ist eine angst- oder furchtbezogene Störung die besonders häufig bei Kindern auftritt. Betroffene schweigen, obwohl sie eigentlich sprechen können. Der Begriff leitet sich vom lateinischen "mutus" für "stumm" ab und beschreibt das beharrliche, angstbedingte Schweigen eines Menschen, das sich im Laufe der Zeit verstärkt und schließlich kaum noch willentlich gesteuert werden kann. Ein Defekt der Sprachorgane oder des Gehörs als Ursache liegt dabei nicht vor.

Man unterscheidet laut Definition den "totalen Mutismus" – Betroffene sprechen überhaupt nicht – und den wesentlich häufigeren "selektiven Mutismus" (auch elektiver Mutismus), wenn Betroffene nur bestimmten Menschen gegenüber bzw. in bestimmten Situationen schweigen.

Häufigkeit von Mutismus

An der Angststörung leiden in Deutschland nach Schätzungen von Fachleuten 6.000 bis 10.000 Menschen. Einer Studie aus dem Jahre 2001 zufolge liegt die Zahl der Fälle von selektivem Mutismus bei 7 Kindern von 1.000. Das Phänomen ist etwa doppelt so häufig wie Autismus, mit dem Mutismus nicht selten verwechselt wird.

Ursachen des Mutismus

Die Diagnose ist nicht ganz einfach, und häufig wird Mutismus als zu behandelndes Syndrom nicht erkannt, missverstanden oder geringgeachtet. Dabei sind - wenn die Angststörung früh erkannt wird - die Heilungsaussichten gut.

Selektiver Mutismus ist keine Krankheit im eigentlichen Sinne, sondern eines der möglichen Symptome einer "Sozialangst". Einige der Hauptursachen des selektiven Mutismus sind:

  • angeborene (genetisch bedingte) Schüchternheit bzw. Gehemmtheit des Kindes
  • innerfamiliäre Probleme
  • Sprachentwicklungsstörungen oder Sprachauffälligkeiten des Kindes (es schweigt, weil es sich seiner (unvollkommenen) Stimme/Sprache schämt)
  • weitere Angststörungen, insbesondere "soziale Phobie" (sich verstecken möchten, nicht im Mittelpunkt stehen wollen, Angst vor unbekannten Personen oder Situationen)
 

Mutismus bei Kindern

Wenn Kinder in bestimmten Situationen oder gegenüber manchen Personen völlig verstummen, hat das also nicht immer mit Trotz, Unerzogenheit oder momentaner Schüchternheit, zu tun, sondern könnte Anzeichen eines Mutismus-Syndroms sein.

Von den Eltern werden Kinder mit Mutismus oft fälschlicherweise als schüchtern oder lustlos begriffen: Im vertrauten Umfeld der Familie, der Geschwister und enger Freund*innen reden die Betroffenen ganz normal und gelöst, jedoch sobald auch nur der Verdacht besteht, dass jemand anderes mithört oder eine dritte Person sieht, dass der Mund bewegt wird, verfällt der*die Mutist*in in Schweigen.

Symptome von Mutismus bei Kindern

Bei folgenden Anzeichen des Kindes sollten Eltern wachsam sein:

  • Das Kind spricht in bestimmten Situationen nicht, zu Hause und mit vertrauten Personen spricht es aber.
  • Zu Hause ist das Kind sehr ausdrucksfreudig, kommunikativ und redet teilweise extrem viel (Nachholbedarf).
  • Das Kind hat Schwierigkeiten, von sich aus Interaktionen zu beginnen (z. B. Begrüßung, Abschied, Dank, Fragen).
  • In der Schule wird das ausgeprägte Schweigen oft mit guten schriftlichen Leistungen kompensiert.
  • Das Kind scheint die es umgebende Welt im Vergleich zu den Altersgenoss*innen sorgfältiger zu beobachten und wahrzunehmen, es hat aber oft Schwierigkeiten, die eigenen Gefühle auszudrücken.

Therapie bei Mutismus

Bei Mutismus können verschiedene Therapieformen zum Einsatz kommen, die meist miteinander kombiniert werden:

  • Verhaltenstherapie: In der Verhaltenstherapie werden neue Verhaltensmuster erlernt, die es ermöglichen sollen, mit angstbesetzten Situationen besser umgehen zu können. Meist wird zunächst das Sprechen mit dem*der Therapeut*in trainiert, und dieses anschließend in andere Situationen übertragen.
  • Analytische Spieltherapie oder Familientherapie: Je nach zugrunde liegender Ursache kann auch eine analytische Spieltherapie oder eine Familientherapie zum Einsatz kommen. Bei der analytischen Spieltherapie sollen Traumata aus der frühen Kindheit aufgearbeitet werden, während bei der Familientherapie innerfamiliäre Konflikte im Mittelpunkt stehen.
  • Sprachtherapie (Logopädie): Zusätzlich zu den bereits genannten Therapieformen kann eine Sprachtherapie erfolgen. Im Mittelpunkt steht das langsame Neuerfahren des Sprechens (beispielsweise durch das Nennen von Anfangsbuchstaben eines Symbolbildes). Blockierende kommunikative Verhaltensweisen sollen ersetzt werden. Häufig ist auch hier die Zusammenarbeit mit dem sozialen Umfeld des Kindes wichtig.
  • Pharmakotherapie: Dabei werden unterstützend spezielle Antidepressiva eingesetzt, die durch eine*n Psychiater*in verschrieben werden. Meist kommen diese zum Einsatz, wenn die Symptomatik stark ausgeprägt ist und/oder parallel weitere psychische Störungen (beispielsweise Depressionen) bestehen.

Fachleute sagen, dass die Erfolgschancen umso größer sind, je früher man eingreift. Ansonsten kann sich das Störungsbild stärker manifestieren, sich über Jahre halten und bis ins Erwachsenenalter hineinziehen.

Eltern, die bemerken, dass ihr Kind Kommunikationsprobleme hat, sollten daher den Weg zum*zur Kinderarzt*Kinderärztin nicht scheuen. Grundsätzlich ist es für die anschließende Therapie sinnvoll, eine therapeutische Praxis auszuwählen, die auf Mutismus spezialisiert ist.

Tipps für Eltern von Mutisten

Für Eltern ist das Schweigen ihres Kindes nicht immer leicht nachzuvollziehen. Diese Tipps können helfen:

  • Das Schweigen nicht persönlich nehmen!
  • Das Nicht-Sprechen als aktives Handeln erkennen, das – irgendwann einmal – seinen Zweck für das Kind/den Jugendlichen erfüllt hat.
  • Das Schweigen kann von den Betroffenen nicht bewusst unterlassen werden, da es über Jahre hinweg entwickelt und aufrechterhalten wurde.
  • Nicht ständig zum Sprechen auffordern oder gar drängen. Jede Aufforderung zum Sprechen erhöht den Druck auf das Kind und die Angst vor dem nächsten Sprechanlass.
  • Stellen Sie das Kind nicht in den Mittelpunkt, behandeln sie es ganz normal.
  • Grenzen Sie das Kind nicht aus.
  • Die letztendliche Entscheidung, ob und wann das Schweigen aufgegeben wird, trifft die betroffene Person selbst! Die Aufgabe der Eltern und des Umfelds besteht darin, zu begleiten, die Kompetenzen zu fördern, sich in Geduld zu üben und verstehen zu lernen.
Autistischer Junge zählt Regentropfen an Fensterscheibe
Autismus: Symptome & Bedeutung einer Autismus-Spektrum-Störung
Autismus: Symptome & Bedeutung einer Autismus-Spektrum-Störung
Kind mit Asperger-Syndrom
Asperger-Syndrom
Asperger-Syndrom
Logopädin übt mit Frau mit Aphasie
Aphasie – Arten und Therapie der Sprachstörung
Aphasie – Arten und Therapie der Sprachstörung