Sichelzellen bei der Sichelzellkrankheit
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Sichelzellkrankheit (Sichelzellanämie): Ursache, Symptome & Therapie

Von: Dr. rer. nat. Isabel Siegel (Diplom-Biologin und Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 07.12.2022 - 16:52 Uhr

Die Änderung eines einzigen Bausteins im roten Blutfarbstoff Hämoglobin hat bei Menschen mit der Sichelzellanämie weitreichende Folgen. Die Erythrozyten, also die roten Blutkörperchen, nehmen durch diese Mutation die Gestalt einer Sichel an, sie werden starr, bleiben in Blutgefäßen stecken und werden vom Körper schnell abgebaut. Durchblutungsstörungen und Anämie (Blutarmut) sind die Folgen. In diesem Artikel erfahren Sie unter anderem, was genau die Ursache einer Sichelzellkrankheit ist und welche Symptome die Erbkrankheit mit sich bringt. Darüber hinaus informieren wir darüber, welche*r Arzt*Ärztin die Diagnose stellt, was für Therapien derzeit zur Verfügung stehen und welchen Einfluss die Erkrankung auf die Lebenserwartung hat.

Definition: Was ist eine Sichelzellanämie?

Die Sichelzellanämie ist eine Erbkrankheit, bei der das Gen für den roten Blutfarbstoff (Hämoglobin) von einer Mutation betroffen ist. Hämoglobin wird vor allem für den Transport von Sauerstoff im Blut benötigt. Durch die Genmutation ändern sich nicht nur die Eigenschaften des Hämoglobins, sondern auch das Aussehen der roten Blutkörperchen (Erythrozyten), in denen sich das Hämoglobin befindet. Erythrozyten sehen normalerweise aus wie in der Mitte eingedellte Scheiben. Bei der Sichelzellanämie nehmen die Erythrozyten jedoch die Form einer Sichel an (Sichelzellen), was der Krankheit ihren Namen gab.

Eine andere, aktuellere Bezeichnung für die Sichelzellanämie (auch: Sichelzellenanämie) ist Sichelzellkrankheit. Denn eine Anämie (Blutarmut) ist nicht das einzige Kennzeichen dieser Bluterkrankung.

Wie häufig kommt die Sichelzellkrankheit vor?

Die Krankheit ist wahrscheinlich vor langer Zeit in Afrika und auf der Arabischen Halbinsel entstanden und infolge von Migrationsbewegungen inzwischen weltweit verbreitet. Sie gehört zu den häufigsten Erbkrankheiten. In Deutschland ist etwa eines von 20.000 Neugeborenen betroffen. So gab es im Jahr 2018 hierzulande ungefähr 3.000 bis 5.000 Menschen mit einer Sichelzellanämie. Am häufigsten tritt die Sichelzellkrankheit bei Personen auf, deren Eltern aus dem östlichen Mittelmeerraum, Afrika, dem Nahen Osten oder Indien stammen.

Ursache: Wie kommt es zur Sichelzellanämie?

Das Hämoglobin von gesunden Menschen (Hämoglobin A, HbA) hat eine bestimmte Struktur, die durch die Reihenfolge seiner Bestandteile, der Aminosäuren, vorgegeben ist. Diese Struktur ist wichtig für die korrekte Funktion des Hämoglobins. Bei der Sichelzellkrankheit kommt es zu einer veränderten Zusammensetzung des Hämoglobins (Hämoglobin S, HbS) und damit zu Änderungen in seiner Struktur und Funktion.

Was verursacht eine Sichelzellanämie?

Die Änderung der Struktur des roten Blutfarbstoffs wird durch eine einzige Mutation (Punktmutation) in der Erbanlage, dem Gen für das Hämoglobin (β-Globin-Gen) verursacht. Das in der Folge veränderte Hämoglobin S verformt sich, wenn es nicht mit Sauerstoff beladen ist. Das führt dazu, dass die Erythrozyten ein anderes Aussehen (Sichelform) und andere Eigenschaften annehmen und als Sichelzellen bezeichnet werden.

Wie wird die Sichelzellkrankheit vererbt?

Ein Mensch besitzt pro Merkmal immer zwei Versionen eines Gens (Allele), eine von der Mutter und eine vom Vater. Im Falle der Sichelzellkrankheit sind das die Allele für die Bildung von HbS (Sichelzellhämoglobin) und HbA (normales Hämoglobin). Bedingt durch unterschiedliche Kombinationen der beiden Genversionen kann es bei den Kindern zu folgenden Ausprägungen kommen:

  1. HbS/HbS: Sowohl vom Vater als auch von der Mutter wurden die Gene für die Sichelzellanämie vererbt. Im Körper wird ausschließlich Sichelzellhämoglobin produziert. Diese schwerste Form der Sichelzellanämie wird auch als homozygot bezeichnet. Das bedeutet, dass beide Gene durch die Sichelzellmutation betroffen sind. Die homozygote Sichelzellkrankheit wird abgekürzt auch als HbSS oder SCD-S/S bezeichnet.
  2. HbS/HbA: Von einem Elternteil wurde das Sichelzellgen vererbt, vom anderen Elternteil das Gen für normales Hämoglobin. Bei den Betroffenen liegen beide Hämoglobinformen, HbA und HbS vor. Diese Personen werden als HbS-Träger*innen (Merkmalsträger*innen) bezeichnet, denn sie tragen das Gen für die Sichelzellen in sich. Es kommt aber nicht zur Ausprägung der Krankheit, da das "gesunde" HbA das HbS ausgleichen kann. Diese Form der Sichelzellkrankheit wird als heterozygot bezeichnet. Merkmalsträger*innen des Sichelzellgens können dieses an ihre Kinder weitergeben.
  3. HbA/HbA: Wenn beide Elternteile heterozygot sind, kann von ihnen jeweils das Gen für normales Hämoglobin vererbt werden. Die Nachkommen sind gesund und tragen auch kein Sichelzellgen in sich.

Die Sichelzellkrankheit entsteht also nur dann, wenn von beiden Elternteilen das Gen für HbS vererbt wird. Daher muss die Genmutation bei den Kindern von Eltern, die lediglich HbS-Träger und -Trägerin sind, nicht immer zur Sichelzellerkrankung führen, da beide auch jeweils ein gesundes Gen vererben können.

Sichelzellanämie: autosomal-rezessive Erbkrankheit

Die Sichelzellkrankheit tritt nur dann in vollem Umfang in Erscheinung, wenn die Mutation auf beiden Genen, also denen von Mutter und Vater, vorkommt. Das Gen für die Sichelzellen wird daher als rezessiv bezeichnet.

Das Gen für Hämoglobin liegt auf Chromosom 11, das zu den Autosomen gehört. Als Autosomen werden die Chromosomen 1 bis 22 bezeichnet. Demgegenüber stehen die Geschlechtschromosomen (Chromosomenpaar 23: XX bei der Frau, XY beim Mann).

Bei der Sichelzellkrankheit spricht man daher von einer autosomal-rezessiven Erbkrankheit. Die Sichelzellanämie ist als Erberkrankung weder ansteckend noch kann sie im Laufe des Lebens erworben werden.

Welche Folgen hat die Sichelzellanämie?

Die ursprünglich runden, weichen und glatten roten Blutkörperchen werden durch das krankhafte Hämoglobin S zu länglichen, starren und spitzen Zellen, die wie Sicheln aussehen. Durch ihre veränderte Form können sie die Blutgefäße leicht verstopfen, was zu Durchblutungsstörungen führt. Infolgedessen kann es zu Komplikationen wie Schädigungen an zahlreichen Organen, unter anderem dem Herzen, der Haut und der Milz, kommen. Auch das Risiko für einen Schlaganfall ist deutlich erhöht.

Außerdem haben Sichelzellen eine kürzere Lebensdauer als gesunde Erythrozyten, denn sie sind weniger stabil, zerfallen schneller (Hämolyse) und sterben schon nach bis zu 20 Tagen ab. Normal ist eine Lebensdauer der roten Blutkörperchen von bis zu vier Monaten. Die Kurzlebigkeit der Sichelzellen hat eine Blutarmut zur Folge. Eine Anämie beeinträchtigt die Sauerstoffversorgung des ganzen Körpers.

Sichelzellkrankheit: Welche Symptome treten auf?

Das Krankheitsbild der Sichelzellanämie ist sehr komplex. Es kann zu vielfältigen Beschwerden kommen. Die meisten Symptome der Sichelzellkrankheit sind auf die Kurzlebigkeit und die Unbeweglichkeit der Sichelzellen zurückzuführen. Im Rahmen der Erkrankung kann es durch verschiedene Auslöser wie Virusinfektionen, Sauerstoffmangel oder Medikamente zu akuten Sichelzellkrisen mit starken Schmerzen und lebensbedrohlichen Durchblutungsstörungen kommen.

Häufige Symptome bei Sichelzellanämie sind:

  • Müdigkeit, Blässe und Schwächegefühl aufgrund der Blutarmut
  • Schmerzanfälle (Schmerzkrisen) in Knochen und Gelenken verursacht durch Gefäßverschlüsse und Sauerstoffmangel im Gewebe
  • erhöhte Infektanfälligkeit und Fieber, unter anderem durch einen Funktionsverlust der Milz
  • Gelbsucht, das heißt eine Gelbfärbung von Augen und Haut, ausgelöst durch den vermehrten Abbau von krankhaften Erythrozyten

Besonders bei Kleinkindern kommt es durch den Verschluss von Blutgefäßen zum sogenannten Hand-Fuß-Syndrom. Das ist eine schmerzhafte Schwellung der Finger und Zehen, wobei die Haut in diesen Bereichen gerötet ist.

Bei Kindern bis zu sechs Jahren mit homozygoter Sichelzellanämie besteht die Gefahr einer akuten Milzsequestration. Dabei versackt plötzlich ein großer Teil des Blutes in der Milz, die sich dadurch rasch vergrößert. Gleichzeitig steht das Blut nicht mehr im restlichen Körper zur Verfügung, was zu einer lebensbedrohlichen Anämie und einem Sauerstoffmangel führt (hypovolämischer Schock). Häufig ist dann eine Bluttransfusion als Behandlung notwendig. Die auslösende Ursache für eine Milzsequestration ist bis heute nicht bekannt.

Diagnose: Wie wird die Sichelzellanämie festgestellt?

Bei Verdacht auf die Sichelzellkrankheit werden spezielle Blutuntersuchungen durchgeführt. Konkret sind das die Hämoglobin-Elektrophorese oder die Hochleistungsflüssigkeits-Chromatographie (HPLC). Dabei wird in einer Blutprobe nach dem veränderten Hämoglobin S gesucht. Die Blutwerte für Hämoglobin S und Hämoglobin A geben einen Hinweis auf die Form der Sichelzellkrankheit:

  • Ist der Anteil des HbS am Gesamthämoglobin größer als 50 Prozent, handelt es sich wahrscheinlich um die homozygote Sichelzellkrankheit.
  • Ist der Anteil des HbS am Gesamthämoglobin kleiner als 50 Prozent, liegt vermutlich die heterozygote Form vor.

Diese Untersuchungen werden in der Regel von einem*einer Hämatologe*Hämatologin durchgeführt. Die Hämatologie ist ein medizinisches Spezialgebiet, das sich vorwiegend mit Erkrankungen des Blutes, des Knochenmarks und des lymphatischen Systems beschäftigt.

Das Neugeborenenscreening in Deutschland schließt seit Oktober 2021 auch die Sichelzellkrankheit ein. Damit werden die Kosten für den Test in voller Höhe von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

Manchmal können die Sichelzellen auch in einer Blutprobe unter dem Mikroskop beobachtet werden. Auch eine molekulargenetische Untersuchung kommt in manchen Fällen zur Anwendung. Und nicht zuletzt kann schon während der Schwangerschaft im Rahmen der vorgeburtlichen Diagnostik das ungeborene Kind auf Bluterkrankungen, wie die Sichelzellanämie, getestet werden.

Therapie: Wie wird die Sichelzellkrankheit behandelt?

Die Behandlung ist hauptsächlich darauf ausgerichtet, gesundheitlichen Problemen und Komplikationen wie Organschäden vorzubeugen und die Symptome zu lindern.

Zu den Therapiemöglichkeiten gehören:

  • Hydroxycarbamid: Der Wirkstoff kann das Auftreten von Schmerzkrisen verringern und die Menge an Hämoglobin im Blut erhöhen.
  • Penicillin: Vorbeugend und zur Vermeidung von schweren Infektionen sollte das Antibiotikum Kindern ab dem zweiten Lebensmonat bis zum fünften Lebensjahr regelmäßig verabreicht werden. Eine besondere Rolle spielen Infektionen durch Pneumokokken. Diese Bakterien können sich sehr schnell im Körper ausbreiten und eine Blutvergiftung (Sepsis) verursachen, die im schlimmsten Fall innerhalb von Stunden tödlich enden kann.
  • Impfungen: Zum Schutz vor Infektionen mit verschiedenen Bakterien, insbesondere Pneumokokken, aber auch Viren sollte nach dem aktuellen Impfkalender der Ständigen Impfkommission (STIKO) geimpft werden.
  • Antibiotika: Je nach krankheitsauslösendem Erreger stehen bei einer akuten bakteriellen Infektion verschiedene Antibiotika zur Verfügung.
  • Bluttransfusionen: Zur Vorbeugung von Schlaganfällen werden regelmäßig Bluttransfusionen durchgeführt. Auch bei einer Milzsequestration wird häufig umgehend eine Transfusion notwendig.
  • Crizanlizumab: Dieser monoklonale Antikörper kann das Auftreten von Schmerzkrisen verringern. Er kann in Kombination mit Hydroxycarbamid gegeben werden.
  • Voxelotor: Dieser seit 2022 zugelassene Wirkstoff kann die Sichelbildung der roten Blutkörperchen verhindern und den Hämoglobinwert erhöhen.

Auch in Bezug auf den Lebensstil sollten Betroffene einiges beachten: So ist Sport zwar empfehlenswert, eine extreme körperliche Belastung aber nicht ratsam. Eine spezielle Ernährung gibt es zwar nicht, der Bedarf an Flüssigkeit ist aber erhöht. Faktoren wie Dehydration, Kälte, Überanstrengung, Tauchen oder ein Aufenthalt in großen Höhen (in den Bergen) können eine akute Sichelzellkrise auslösen.

Mit einer frühzeitigen Diagnose der Sichelzellkrankheit, am besten schon beim Neugeborenen, können die Behandlung rechtzeitig eingeleitet und teilweise lebensbedrohliche Komplikationen vermieden werden.

Ist die Sichelzellanämie heilbar?

Die Ursache der Sichelzellkrankheit, die Mutation im Gen für das Hämoglobin, kann nicht behoben werden. Die Sichelzellerkrankung ist dennoch mithilfe einer Stammzelltransplantation (SZT) heilbar.

Dabei wird das Knochenmark der erkrankten Person, in dem die Sichelzellen gebildet werden, durch Blutstammzellen des Knochenmarks einer gesunden Person ersetzt. Für eine Stammzelltransplantation kommen Menschen infrage, die an einer schweren Form der Sichelzellkrankheit leiden und für die ein*e Spender*in zur Verfügung steht. Die SZT ist mit gewissen Risiken verbunden und wird erst eingesetzt, wenn andere Therapien nicht erfolgreich waren oder nicht geeignet sind.

Seit einigen Jahren wird in wissenschaftlichen Studien die Methode der Gentherapie zur Heilung der Sichelzellkrankheit untersucht. Dabei werden die krankhaften Sichelzellen durch genetisch veränderte Blutzellen ersetzt. Die bisherigen Ergebnisse sind sehr vielversprechend. In den nächsten Jahren ist daher mit einer Zulassung dieser Therapieform zu rechnen.

Lebenserwartung: Wie alt wird man mit Sichelzellanämie?

Die Lebenserwartung wird durch das Auftreten von Komplikationen (zum Beispiel Organschäden, Schlaganfall oder Infektionen, in deren Folge die Bildung der roten Blutkörperchen extrem reduziert wird (aplastische Krise)) deutlich gemindert. Daher sollten diese – soweit es möglich ist – verhindert oder angemessen behandelt werden.

Bei guter medizinischer Versorgung erreichen bis zu 95 Prozent aller betroffenen Kinder das Erwachsenenalter. Die mittlere Lebenserwartung beträgt dann etwa 40 bis 50 Jahre. Aufgrund der immer besseren Therapiemöglichkeiten verbessert sich die Prognose immer weiter.

Bei der heterozygoten Form ist die Lebenserwartung nicht beeinträchtigt.

Sichelzellkrankheit und Malaria

In Regionen mit hohem Malaria-Vorkommen, beispielsweise in Afrika, findet man einen hohen Anteil von HbS-Träger*innen in der Bevölkerung. Diese Menschen hatten dort in der Vergangenheit bessere Überlebenschancen und konnten sich daher besser fortpflanzen. Der Grund dafür: HbS-Träger*innen sind in gewisser Weise vor Malaria geschützt.

Malaria wird durch einen Einzeller (Plasmodium) verursacht, der über den Stich der Anophelesmücke übertragen wird. Normalerweise vermehrt sich Plasmodium daraufhin in den roten Blutkörperchen, die anschließend zugrunde gehen. In den Sichelzellen können sich die Malaria-Erreger schlechter vermehren als in normalen Erythrozyten. Sichelzellen schützen die Menschen daher in begrenztem Maß vor einer schweren Malaria-Erkrankung.

Auch eine andere Erberkrankung, die Thalassämie, bietet den Träger*innen einen Schutz vor akuter Malaria. Diese Bluterkrankung führt im Unterschied zur Sichelzellkrankheit dazu, dass sehr viele kleine rote Blutkörperchen produziert werden, die weniger Hämoglobin enthalten. Es wird vermutet, dass die größere Anzahl an Erythrozyten den durch eine Infektion mit Plasmodium verursachten Verlust an roten Blutzellen ausgleichen kann.