Frau mit Multiple Sklerose (MS)
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Multiple Sklerose (MS): Ursachen, Symptome & Diagnose

Von: Dagmar Reiche (Ärztin und Medizinautorin), Miriam Funk (Medizinredakteurin und Physiotherapeutin), Jasmin Rauch (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 15.02.2023 - 15:24 Uhr

Multiple Sklerose ist eine entzündliche Erkrankung des Nervensystems, die in Deutschland mehrere hunderttausend Menschen betrifft und die sehr unterschiedlich verlaufen kann. Nach wie vor sind trotz intensiver Forschung die genauen Mechanismen der Entstehung von MS unklar. Auch die Diagnose der Erkrankung bleibt aufgrund der vielfältigen Symptome weiterhin schwierig. Welche Anzeichen können auf MS hindeuten, welche frühen Symptome gibt es und kann man einer MS vorbeugen?

Was ist Multiple Sklerose (MS)?

Multiple Sklerose (MS), auch Encephalomyelitis disseminata (ED) genannt, ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des Nervensystems. Dabei werden die fetthaltigen Umhüllungen der Nervenzellen des Gehirns und Rückenmarks (die sogenannten Myelinscheiden) durch Entzündungsprozesse geschädigt und zerstört (Demyelinisierung).

Die Myelinscheiden legen sich als Isolierschicht um die langen Ausläufer der Nervenzellen; ihre Aufgabe ist die schnelle Reizleitung innerhalb des Gehirns. Sind die Myelinscheiden zerstört, sind Ausfälle von Motorik und Sensorik die Folge – abhängig davon, wo genau im Gehirn der infektiöse Herd lokalisiert ist. Als Folge leidet dort die Informationsübertragung und es kommt zu Ausfällen der Areale, die sonst von diesen Nerven mit Informationen versorgten werden – beispielsweise der Augen oder der Haut.

Die Verbreitung von MS wächst mit dem Abstand vom Äquator, die Krankheit tritt also vor allem in den gemäßigten Klimazonen auf. Weltweit sind rund 2,5 Millionen Menschen betroffen. Frauen erkranken rund doppelt so häufig wie Männer; die ersten Anzeichen zeigen sich meist zwischen dem 20. Und 40. Lebensjahr.

Ursachen für Multiple Sklerose

Nach bisherigen Erkenntnissen beruht Multiple Sklerose auf mehreren Faktoren, die bei dieser Krankheit zusammenspielen. Im Zentrum der MS steht das Immunsystem, bei dem sich ein Teil der Abwehrzellen fälschlicherweise gegen körpereigenes Gewebe – die Schutzhüllen der Nervenfasern – richtet und dort eine Entzündungsreaktion auslöst. Was jedoch als Ursachen zu dieser fehlgeleiteten Immunreaktion (Autoimmunkrankheit) führt, ist bisher unklar.

MS durch Virusinfektion ausgelöst?

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts vermuteten Forschende, dass eine Infektion Ursache der Entzündung bei Multipler Sklerose sein könnte. Auch heute noch werden vor allem Infektionen mit Viren in der Kindheit als Auslöser verdächtigt, so die Erreger von Röteln und Masern, Herpes oder das Epstein-Barr-Virus (EBV).

Eine sehr umfassende Studie mit 10 Millionen Teilnehmenden aus dem Jahr 2022 liefert deutliche Hinweise darauf, dass vor allem das Epstein-Barr-Virus eine wichtige Rolle bei der Entstehung von MS spielen könnte. Zwar führt nicht jede Infektion mit dem Virus zu Multipler Sklerose, jedoch könnte es sich um eine mögliche Spätfolge der EBV-Infektion handeln. Dabei könnten Fehlreaktionen bestimmter Abwehrzellen (der sogenannten T-Zellen) von Bedeutung sein. Das Epstein-Barr-Virus ist weit verbreitet, es ist die Ursache des Pfeifferschen Drüsenfiebers.

Auch andere Umwelteinflüsse wie Rauchen sowie ein Mangel an Vitamin D werden als mögliche Ursachen diskutiert.

Ist MS vererbbar?

Neben den oben genannten Risikofaktoren besteht wahrscheinlich eine genetische Komponente, mit der zumindest eine Neigung zur Multiplen Sklerose vererbt wird. So kann eine familiäre Häufung beobachtet werden: Bei circa 15 Prozent aller erkrankten Personen liegt auch in der engen Verwandtschaft ein Fall von MS vor.

Dass die Genetik nur einer der Risikofaktoren für die Entstehung von Multipler Sklerose darstellt, zeigte eine Studie mit 61 Paaren von eineiigen Zwillingen. Dabei war jeweils ein Zwilling gesund und einer an MS erkrankt – trotz gleicher genetischer Voraussetzungen.

Was sind die ersten Anzeichen von MS?

Zu Beginn der MS treten häufig folgende Symptome auf:

  • plötzliche Sehstörungen durch Sehnerventzündung (Optikusneuritis) – tritt bei etwa 30 Prozent der Betroffenen auf
  • Sensibilitätsstörungen, wie Kribbeln, Missempfindungen oder Taubheitsgefühle
  • Blasenstörungen, wie sehr häufiger oder sehr seltener Harndrang
  • Unsicherheit oder Verlangsamung beim Gehen, Muskelschwäche in Armen oder Beinen
  • Fatigue (ständige Erschöpfung)

MS-Symptome erkennen

Vielfältige Symptome bei MS möglich

Letztlich können theoretisch alle Bereiche der Motorik und Sensorik im Körper durch die Multiple Sklerose beeinträchtigt sein. Die Symptome von Multipler Sklerose können denen anderer neurologischer Erkrankungen, wie Borreliose, Hirntumor oder Bandscheibenvorfall, ähneln. So kommt es bei einem Bandscheibenvorfall beispielsweise auch zu Rückenschmerzen und/oder Empfindungsstörungen in den Beinen. Die Symptome hängen davon ab, welche Teile des Zentralen Nervensystems beeinträchtigt sind. Auch die Schwere der Symptome kann von Mensch zu Mensch sehr stark variieren.

Häufig auftretende, typische Symptome bei MS sind:

  • Bewegungsstörungen mit Spastik und Tremor (Zittern)
  • Sehstörungen mit Doppelbildern, Störung des Farbsinnes oder Sehverlust
  • Schmerzen bei der Augenbewegung
  • Hitzeempfindlichkeit
  • kognitive Störungen (Gedächtnisstörungen)
  • Sensibilitätsstörungen (Kribbeln in Armen oder Beinen)
  • Sprachstörungen
  • Schwindel
  • Depression
  • sexuelle Funktionsstörungen
  • Kopfschmerzen
  • Rückenschmerzen

Typische Kennzeichen für Multiple Sklerose sind sich innerhalb von Stunden und Tagen entwickelnde körperliche Störungen, die durch einen oder mehrere neue Entzündungsherde bedingt sind. Solch ein sogenannter Schub klingt meist innerhalb von Wochen wieder ab – die entsprechende Funktion erholt sich komplett (in rund 75 Prozent der Fälle) oder es bleiben infolge von Vernarbungen dauerhafte Einschränkungen zurück.

Verlauf von Multipler Sklerose

Die Häufigkeit und Schwere eines Schubs bei MS kann stark variieren und der Verlauf nur schwer vorhersagbar, da die Krankheit sehr unterschiedlich in Erscheinung treten kann. Bei manchen Betroffenen tritt nur selten ein Schub auf, bei rund zwei Dritteln der Betroffenen verschlechtern sich die Körperfunktionen über die Jahre, bei fünf Prozent resultieren aus der Multiplen Sklerose dauerhaft schwere Behinderungen.

Wann und wie oft Symptome auftreten, hängt auch davon ab, um welche Form es sich handelt. Bei Multipler Sklerose werden drei Verlaufsformen unterschieden:

  1. schubförmiger Verlauf
  2. sekundär chronisch-progredienter Verlauf
  3. primär chronisch-progrediente Verlaufsform

Am häufigsten handelt es sich zum Zeitpunkt der Erstdiagnose um eine schubförmige Verlaufsform (auch schubförmig-remittierend genannt). Bei etwa 85 Prozent ist dies der Fall. Symptome, die während eines Schubs vorhanden sind, bilden sich normalerweise innerhalb von sechs bis acht Wochen zurück. In der Zeit zwischen den Schüben verschlechtert sich der Gesundheitszustand nicht. Pro Jahr treten durchschnittlich ein bis zwei Schübe auf.

Nach etwa 20 Jahren geht die schubförmige Verlaufsform bei etwa 80 Prozent der Betroffenen in eine sekundär chronisch-progrediente Verlaufsform über. Dabei nehmen die Symptome stetig weiter zu, ohne dass sich die Einschränkungen wieder vollständig zurückbilden. Die Anzahl der Schübe reduziert sich in der Regel.

Bei der primär chronisch-progredienten Verlaufsform, die nur bei etwa 10 bis 15 Prozent der Menschen mit MS auftritt, verschlechtern sich die Symptome von Anfang an immer weiter, ohne dass es zu abgrenzbaren Schüben kommt. Diese Form der Multiplen Sklerose tritt überwiegend bei Menschen auf, bei denen die Erkrankung erst nach dem 40. Lebensjahr ausbricht.

Immunsystem und MS

Für Betroffene ist wichtig zu wissen: Maßnahmen, die das Immunsystem beeinflussen, können Multiple Sklerose verschlechtern. Dazu gehören eine Hyposensibilisierung bei einer Allergie sowie Wirkstoffe, die das Immunsystem stimulieren (auch pflanzliche Medikamente).

Die durch die Ständige Impfkommission empfohlenen Impfungen sollten auch von MS-Patient*innen wahrgenommen werden, um eine Gefährdung der Gesundheit durch sonst möglicherweise auftretende Infektionen zu vermeiden. Totimpfstoffe sowie (nach bisherigem Kenntnisstand) mRNA-Impfstoffe, wie die Corona-Vakzine von Moderna und BioNTech/Pfizer, sind für Menschen mit MS als unbedenklich zu sehen. Eine Verstärkung von Schüben durch Impfungen ist in diesen Fällen nicht bekannt. Bei Impfungen mit Lebendimpfstoffen sollte ärztliche Rücksprache erfolgen, wenn gleichzeitig eine Behandlung mit Immunsuppressiva erfolgt. In diesen Fällen sind verstärkte Impfreaktionen möglich.

Diagnose der MS

Die Diagnose der Multiplen Sklerose ist aufgrund der vielfältigen Symptome, die sich nach einem Schub auch oftmals wieder zurückbilden und deshalb während der ärztlichen Untersuchungen bisweilen nicht mehr bestehen, nicht einfach. Berücksichtigt werden hierbei die Krankengeschichte (Anamnese) sowie die Ergebnisse der Untersuchungen. Typischerweise werden folgende Untersuchungen vorgenommen:

  • Kernspintomographie (MRT) des Gehirns und des Rückenmarks, um entzündungsbedingte Schädigungen (Läsionen) im Gewebe erkennen zu können
  • akustisch, visuell und motorisch evozierte Potentiale (zur Prüfung von Funktion und Leitfähigkeit der Nerven)
  • Untersuchung des Nervenwassers (Liquorpunktion), vor allem auf bestimmte zusätzliche Immunglobuline (oligoklonale Banden)
  • Blut- und Urinuntersuchungen, beispielsweise großes Blutbild

Die verschiedenen Untersuchungen (insbesondere die Blut- und Urinuntersuchung) dienen auch dazu, andere Erkrankungen oder Mangelerscheinungen als Ursache der Beschwerden auszuschließen. Generell müssen verschiedene Untersuchungsergebnisse zur Diagnose herangezogen werden, da einzelne Anzeichen, wie Läsionen im Gehirn, auch durch viele andere Krankheiten ausgelöst werden können.

Wie erfolgt die Therapie bei Multipler Sklerose?

Multiple Sklerose ist noch nicht heilbar, deshalb werden bei der Therapie vor allem die Symptome behandelt. Ziel der Therapie ist es, die Beschwerden der Betroffenen zu lindern. Dies beinhaltet, Anzeichen eines Schubs zum Verschwinden zu bringen, das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen und Komplikationen und langfristige Einschränkungen zu vermeiden. Verschiedene medikamentöse Behandlungen stehen zur Auswahl und werden oft mit Ergo- oder Physiotherapie kombiniert.

Mehr dazu lesen Sie in unserem Artikel über Therapien und das Leben mit MS.

Kann man Multipler Sklerose vorbeugen?

Da die genauen Ursachen nicht bekannt sind, lässt sich Multipler Sklerose nicht vorbeugen. Allerdings weiß man, dass manche Faktoren den Verlauf negativ beeinflussen oder einen Schub auslösen können. Zu diesen Faktoren gehören größere körperliche und seelische Belastungen wie beispielsweise eine Operation (OP), eine fieberhafte Erkrankung oder eine Infektion. Auch der Aufenthalt in warmen Klimazonen scheint Multiple Sklerose ungünstig zu beeinflussen. Hormonelle Umstellungen wie während oder nach einer Schwangerschaft können ebenfalls einen Schub auslösen.

Impfung gegen Multiple Sklerose

Das insbesondere durch die Entwicklung eines Corona-Impfstoffes bekannt gewordene Unternehmen BioNTech arbeitet aktuell an einem Impfstoff gegen Multiple Sklerose. Dieser soll dafür sorgen, dass der Körper eine Toleranz gegen bestimmte Antigene entwickelt, die bei MS für die fehlerhafte Immunreaktion verantwortlich sind. Wann dieses Vakzin bei Menschen eingesetzt werden kann, ist bisher offen. In Versuchen mit Mäusen zeigte die Impfung bisher eine gute Wirksamkeit. Die Impfung könnte sowohl vorbeugend als auch zur Therapie einer bestehenden Multiple Sklerose eingesetzt werden.

Auch eine Impfung gegen das Epstein-Barr-Virus befindet sich derzeit in der Entwicklung. Da ein starker Verdacht besteht, dass eine Infektion mit EBV eine der Ursachen für Multiple Sklerose darstellen könnte, könnte sich eine entsprechende Impfung ebenfalls positiv auf die Häufigkeit von MS auswirken.

Leben mit MS

Bei MS handelt es sich um eine chronische Erkrankung, bei der eine Heilung aktuell nicht möglich ist. Um die Beschwerden möglichst gering zu halten, ist es wichtig, die individuellen Schub-Auslöser zu erkennen und zu meiden, sich eine*n Ärztin*Arzt mit Erfahrung zu suchen und mit dieser Person in engem Kontakt zu stehen.

Inwieweit die Multiple Sklerose Einfluss auf die Ausübung des Berufs hat oder die körperliche Leistungsfähigkeit einschränkt, ist unterschiedlich. Arbeiten mit MS ist grundsätzlich möglich, jedoch von der jeweiligen Person sowie dem Beruf abhängig. Unterstützung und Erfahrungsaustausch bei Multipler Sklerose bieten Selbsthilfegruppen, zum Beispiel von der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft.

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