Ohrenuntersuchung bei Otosklerose
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Otosklerose – schleichender Hörverlust

Von: Dagmar Reiche (Ärztin und Medizinautorin), Jasmin Rauch (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 18.05.2021 - 10:13 Uhr

Beethoven war zweifellos einer der ganz großen europäischen Komponisten. Einige seiner bekanntesten Werke hat er komponiert, als er aufgrund seiner Taubheit nur noch mit "Konversationsheften" kommunizieren konnte. Sein fortschreitender Hörverlust begann bereits mit 26 Jahren. Heute gehen die meisten Forscher davon aus, dass dessen Ursache eine Otosklerose des Innenohrs war.

Was ist eine Otosklerose?

Hinter dem Trommelfell sitzen in der Paukenhöhle drei winzige Knöchelchen: Hammer, Amboss und Steigbügel. Sie sind wie eine Kette beweglich miteinander verbunden, dämpfen die von draußen eintreffenden Schallwellen und übertragen sie weiter in das Innenohr. Der Steigbügel (Stapes), der kleinste Knochen des Körpers, ist an der Membran des ovalen Fensters befestigt, der Verbindung zum Innenohr.

Bei der Otosklerose kommt es an verschiedenen Stellen des Mittel- und Innenohrs zu Umbauprozessen und vermehrter Neubildung des Knochens. Daher auch der aus dem Griechischen abgeleitete Name für diese Störung: "Oto" für Ohr, "Sklerose" für Verhärtung. Fast immer sind das ovale Fenster und der Steigbügel, in einigen Fällen auch Strukturen des Innenohrs wie die Schnecke oder das Gleichgewichtsorgan, betroffen.

Der neue Knochen kann um die Ansatzstelle des Steigbügels herumwachsen und ihn geradezu einmauern. Damit verliert dieses Gehörknöchelchen zunehmend seine Beweglichkeit (Stapesfixation) und wird immer schlechter seiner Aufgabe gerecht, den Schall zu übertragen. Hörstörungen (Schallleitungsschwerhörigkeit) sind die Folge.
Ist auch das Innenohr von den Verknöcherungen betroffen, kann es zusätzlich zu Ohrgeräuschen (Tinnitus) und – selten – zu Schwindel kommen. Es gibt auch Fälle, bei denen nur das Innenohr befallen ist (Kapsel-Otosklerose); dann kommt es zu einer reinen Schallempfindungsschwerhörigkeit, die Schallleitung ist intakt.

Wer ist betroffen und welche Ursachen gibt es?

Die Otosklerose beginnt fast immer zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Untersuchungen zeigen, dass Frauen etwa doppelt so oft an der Krankheit leiden wie Männer und Weiße wiederum besonders anfällig sind. In knapp zwei Drittel der Fälle werden im Verlauf der Erkrankung beide Ohren befallen.

Wie es genau zur Knochenneubildung kommt, ist nach wie vor nicht bekannt. Bereits seit langem vermutet man eine genetische Komponente. Studien weisen darauf hin, dass bestimmte Gene bei Otosklerose-Patienten an einer bestimmten Stelle verändert sind.

Es ist jedoch nach wie vor nicht auszuschließen, dass weitere Auslöser vorhanden sind. So verschlechtern sich die Symptome bei vielen betroffenen Frauen während der Schwangerschaft oder in der Menopause, was für eine Hormonbeteiligung spricht. Bei einigen Patienten wurde in der Innenohrflüssigkeit Antikörper gegen Masern gefunden, weshalb auch Viren als Auslöser diskutiert werden.

Welche Symptome verursacht die Otosklerose?

Bei den meisten Betroffenen macht sich nach dem 20. Lebensjahr eine Hörminderung bemerkbar, in der Regel zunächst in einem Ohr, später oft auch in beiden Ohren. Diese schreitet langsam, aber stetig voran bis hin zur völligen Taubheit. Viele leiden zusätzlich unter Ohrgeräuschen (Tinnitus). Ist auch das Innenohr betroffen, kann Schwindel hinzukommen.

Ein häufiges Symptom ist, dass die Erkrankten bei Umgebungslärm besser hören – dieses Phänomen wird als "Paracusis Willisii" bezeichnet. Ursache ist vermutlich, dass zum einen die anderen Personen in solchen Situationen automatisch lauter sprechen, zum anderen, dass die störenden Ohrgeräusche sich dann weniger bemerkbar machen. Die Betroffenen selbst sprechen eher leise, da die eigene Stimme über den Knochen weitergeleitet wird, was ja funktioniert.

Wie wird die Diagnose gestellt?

Es gibt zwar eine ganze Reihe von Ohruntersuchungen, doch letztlich geben diese nur mehr oder weniger deutliche Hinweise auf eine Otosklerose bzw. ermöglichen es, andere Erkrankungen auszuschließen. Wie ein Puzzle fügt der Arzt die Untersuchungsergebnisse zusammen.

Folgende Untersuchungen werden zur Diagnose einer Otosklerose eingesetzt:

  • Anamnesegespräch: Im Gespräch klärt der Arzt mit Ihnen, ob mögliche Vorerkrankungen vorliegen und wie Ihre Symptome genau aussehen.
  • Otoskopie: Mit einer Lupe untersucht der Arzt das Trommelfell und den Gehörgang, um beispielsweise eine Entzündung auszuschließen. In den meisten Fällen ist eine Otosklerose bei einer Otoskopie nicht sichtbar.
  • Stimmgabelprüfung (Weber-/Rinne-Versuch): Im Rahmen der Stimmgabelprüfung wird eine solche angeschlagen und an verschiedene Stellen des Kopfes angesetzt beziehungsweise vor die Ohren gehalten. Dabei teilen Sie dem Arzt mit, ob und falls ja wann Sie Schwingungen der Stimmgabel nicht mehr wahrnehmen können.
  • Gellé-Versuch: Zusätzlich zum Anschlagen der Stimmgabel wird ein Gummiball auf den Gehörgang gelegt. Dadurch entsteht ein Überdruck, der bei einem normalen Hörvermögen die Luftleitung behindert. Der Ton der Stimmgabel wirkt leiser. Bei einer Otosklerose verändert sich der Ton für den Betroffenen hingegen nicht.
  • Sprachaudiogramm: Mithilfe eines Sprachaudiogramms wird das Sprachverständnis gemessen.

Eine Magnetresonanztherapie beziehungsweise eine Computertomografie können bei Verdacht auf eine Otosklerose ein genaues Bild von Ohr- und Schädelregion geben.

Welche Therapie gibt es bei Otosklerose?

Wichtigste Behandlungsmethode der Otosklerose, wenn das Innenohr nicht oder kaum betroffen ist, ist die mikrochirurgische Operation. Dabei wird der Steigbügel zum Teil entfernt, ein Loch in seine Fußplatte gebohrt, eine stempelförmige Prothese (sogenanntes Piston) aus Teflon, Platin, Titan oder Gold eingesetzt und diese mit einer kleinen Öse am Amboss befestigt. Dieses Verfahren (Stapedotomie/Stapeplastik) stellt die Beweglichkeit der Gehörknöchelchenkette und somit die Schallübertragung zum Innenohr wieder her.

Früher wurde häufig auch der gesamte Steigbügel durch eine Prothese ersetzt (Stapedektomie). Dieses Verfahren wird heute aufgrund des höheren Risikos nur noch selten angewandt.

Liegt auch eine Innenohrschwerhörigkeit vor, hilft die Operation nicht. In solchen Fällen (oder wenn die Operation vom Betroffenen nicht gewünscht wird), kann ein Hörgerät angepasst werden. Dieses verstärkt den Schall, verhindert aber nicht das Fortschreiten der Erkrankung.

Ablauf der OP

Die Operation dauert mindestens 30 Minuten und erfolgt meist unter lokaler Betäubung – das hat den Vorteil, dass der Arzt bereits währenddessen das Gehör prüfen kann. Der Zugang erfolgt von außen über den Gehörgang, indem das Trommelfell aufgeschnitten und weggeklappt wird. So gelangt man in die Paukenhöhle und kann – nach dem Entfernen des oberen Steigbügels – mit einer Nadel oder einem Laserstrahl ein Loch in seinen "Fuß" bohren. Eine Verbesserung tritt in der Regel spätestens innerhalb von zwei Wochen nach der Operation auf.

Worauf muss man nach der OP achten?

Die ersten Tage nach einer Operation wird der Gehörgang mit einem Schwämmchen oder Gazestreifen ausgestopft, das mit antibiotischer Salbe getränkt ist. Der Patient muss etwa zwei bis drei Tage in der Klinik bleiben, krank geschrieben ist er meist zwei bis drei Wochen. In den ersten zwei Wochen sollte kein Wasser in die Ohren gelangen; deshalb sollten selbst beim Duschen eine Badehaube, Ohrenschützer oder ähnliches getragen werden.

Bis zur kompletten Ausheilung vergehen etwa vier bis sechs Wochen. In dieser Zeit sollte der Betroffene noch keine Flugreisen oder Tauchgänge unternehmen, da die Druckschwankungen dem Ohr schaden können. Manche Experten raten sogar, darauf drei Monate zu verzichten. Bei einem Schnupfen sollten aus dem gleichen Grund abschwellende Nasentropfen genommen werden.

Cochlea-Implantat als Alternative

Eine Alternative bei der Behandlung einer Otosklerose, insbesondere bei Schallempfindungsschwerhörigkeit, ist das Cochlea-Implantat (CI). Dieses wird hinter der Ohrmuschel unter der Haut platziert. Durch einen dünnen Kanal führt der Arzt eine Elektrode in die Hörschnecke ein, die mit dem Implantat verbunden ist. Das Cochlea-Implantat verwandelt die Schallwellen in elektrische Impulse, die es an den Hörnerv weitergibt. 

Nach der OP kann es zu Wundschmerzen und leichten Blutungen kommen. Die Fäden werden circa sieben Tage nach der Operation gezogen. Bis die Wunden komplett ausgeheilt sind, dauert es in der Regel zwei bis drei Wochen.

Das Implantat wird etwas vier bis sechs Wochen nach der OP das erste Mal aktiviert. Dazu ist ein mehrtätiger Klinikaufenthalt notwendig. In dessen Rahmen erhält der Betroffene Hinweise zum Umgang mit dem Cochlea-Implantat und erste Hörtests werden gemacht. In den nachfolgenden Monaten findet zudem bei einem Logopäden oder einer Logopädin ein Hörtraining statt.

Verlauf und Prognose bei Otosklerose

Die Schwierigkeit bei der Behandlung einer Otosklerose liegt darin zu entscheiden, ob und wann operiert wird. Je früher der Eingriff erfolgt, desto einfacher gelingt er und desto höher sind die Erfolgsraten (Besserung des Hörvermögens bei mehr als 90 Prozent, bei vielen auch Verschwinden des Tinnitus).

Allerdings können wie bei jeder Operation Komplikationen auftreten, was die Entscheidung für eine Operation zu einem Zeitpunkt, wenn das Gehör noch nicht allzu sehr beeinträchtigt ist, natürlich schwierig macht. So verschlechtert sich das Hörvermögen bei Betroffenen nach der OP in etwa einem Prozent der Fälle, bei 0,5 Prozent kommt es sogar zur Gehörlosigkeit.