Herdenimmunität als Schutz vor Corona – funktioniert das?

Menschengruppe als "Herde"
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Gesund sein und gesund bleiben – das wünschen sich wohl alle Menschen, nicht nur in Zeiten des Coronavirus SARS-CoV-2, der derzeit um die Welt geht. Jeder einzelne Mensch kann eine Menge für seine eigene Gesundheit tun. Darüber hinaus kann jede*r auch einen Beitrag zur Gesundheit der Gesellschaft leisten, beispielsweise wenn es um den Schutz vor Infektionskrankheiten geht. Die Rede ist von der sogenannten Herdenimmunität. Impfungen spielen in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle. Je mehr Menschen sich durch eine Impfung vor einer Krankheit schützen, desto geringer ist die Gefahr, dass sich andere, nicht geimpfte Personen anstecken. Aber was bedeutet Herdenimmunität eigentlich genau? Und welche Rolle spielt sie im Zusammenhang mit dem Coronavirus und der daraus entstehenden Erkrankung COVID-19? Das und mehr erfahren Sie hier.

Definition der Herdenimmunität – was ist das?

Herdenimmunität (englisch: herd immunity) bedeutet gemäß der gängigen Definition, dass eine ganze Bevölkerungsgruppe, bildlich gesprochen also die Herde, vor einer ansteckenden Krankheit geschützt ist, weil ein großer Anteil dieser Gruppe dagegen immun ist – entweder durch eine vorhergehende Infektion oder eine Impfung. So findet der Erreger niemanden mehr, den er infizieren kann und die Krankheit kann sich nicht weiter verbreiten. Dadurch entsteht ein Schutz auch für diejenigen Mitglieder der Gruppe, die selbst nicht immun sind.

Häufig ist auch von Herdenschutz oder Herdeneffekt die Rede.

Wie funktioniert Herdenimmunität?

Hochansteckende Infektionskrankheiten können sich schnell ausbreiten, sodass innerhalb kurzer Zeit sehr viele Menschen daran erkranken. Ein gutes Beispiel hierfür sind Masern-Erkrankungen, die heute noch insbesondere in Entwicklungsländern häufig vorkommen und mitunter einen tödlichen Verlauf nehmen. Durch die konsequente Durchführung von Masern-Impfungen in den vergangenen vierzig Jahren konnte die Anzahl der Infektionen in Deutschland stark gesenkt werden.

Erreicht eine Bevölkerung eine Impfquote über 95 Prozent, dann sind nicht nur die geimpften Personen vor einer Ansteckung mit Masern geschützt, sondern auch die Personen, die nicht geimpft sind. Das können unter anderem sein:

  • ungeimpfte Babys im Alter bis zu einem Jahr
  • Menschen mit einer Immunkrankheit, die nicht geimpft werden können
  • Menschen, die bislang aus anderen Gründen nicht geimpft wurden

Durch das Erreichen des Schwellenwertes kommt es zur sogenannten Herdenimmunität. Die Erklärung dafür ist, dass Geimpfte die Krankheit nicht übertragen, eine Ansteckung insgesamt seltener erfolgt und die Krankheit sich viel langsamer oder gar nicht ausbreitet. Im besten Fall kann dies zur Ausrottung einer Infektionskrankheit führen, wie es etwa bei der Kinderlähmung (Polio) in Europa der Fall ist. Um dieses Ziel im Falle der Masern zu erreichen, wurde im März 2020 in Deutschland eine Impfpflicht gegen Masern eingeführt.

Warum ist Herdenimmunität von Bedeutung?

In jeder Bevölkerungsgruppe gibt es Personen, die zu alt, zu jung, zu krank oder immunschwach sind, um sich selbst impfen zu lassen. Doch gerade für diese Gruppen ist die Ansteckung mit einer Infektionskrankheit meist besonders gefährlich. Hier ist die Impfbereitschaft jeder einzelnen gesunden Person und der daraus abgeleitete Gemeinschaftsnutzen, die Herdenimmunität, besonders wichtig und von großer Bedeutung.

Das Prinzip der Herdenimmunität funktioniert übrigens nicht, wenn eine Krankheit nicht nur von Mensch zu Mensch übertragen wird, sondern (auch) durch Tiere, etwa im Fall der Tollwut oder bei FSME. Hier kann nur die Impfung der einzelnen Menschen ausreichenden Schutz bieten.

Ist Herdenimmunität auch ohne Impfung möglich?

Nicht nur Impfungen, sondern auch Infektionen können in bestimmten Fällen zu Herdenimmunität führen und vor einer Ansteckung schützen. Voraussetzungen dafür sind folgende:

  1. Das Immunsystem lernt aus der Infektion und wird genau gegen diese Infektion immun.
  2. Ein Großteil der Bevölkerung muss sich anstecken und die Erkrankung durchlaufen.

Das Risiko dabei liegt auf der Hand: Handelt es sich um eine schwerwiegende Erkrankung, dann besteht die Gefahr, dass viele Menschen im Verlauf daran sterben können.

Daher gilt eine vorbeugende Impfung unter Expert*innen als der schonendere Weg, um Immunität zu erreichen. Im Gegensatz zum Durchleben der jeweiligen Infektionskrankheit, die mit einem unkalkulierbaren Verlauf oder Spätfolgen einhergehen kann, gelten die Nebenwirkungen bei Impfungen als recht gering – schwere Nebeneffekte sind äußerst selten. Denn bei einer Impfung wird das Immunsystem beispielsweise durch die Gabe von abgeschwächten oder abgetöteten Erregern (aktive Impfung) oder durch die Gabe von Antikörpern gegen den jeweiligen Erreger (passive Impfung) darauf trainiert, diesen Erreger im Falle einer Ansteckung zu erkennen und zu bekämpfen.

Herdenimmunität bei Corona-Infektion?

Eine Pandemie, wie die derzeitige Corona-Pandemie, könnte theoretisch ebenfalls zu natürlicher Herdenimmunität führen: Mit dem Virus infizierte Personen bleiben einige Zeit lang ansteckend, dann erholen sie sich, werden gesund und sind anschließend für einen noch nicht bekannten Zeitraum immun gegen eine erneute Coronavirus-Infektion. Je mehr Menschen die Erkrankung COVID-19 durchlaufen haben, desto eher wird eine Herdenimmunität gegen das Coronavirus erreicht. So lautet der theoretische Idealfall.

Ab wann die Herdenimmunität greift, hängt auch davon ab, wie ansteckend eine Erkrankung ist. Expert*innen gingen zunächst davon aus, dass 60 oder 70 Prozent der Bevölkerung gegen das Coronavirus immun sein müssten, um eine unkontrollierte Ausbreitung der Pandemie zu stoppen. Danach würde es zwar weiterhin zu Infektionen kommen, aber seltener.

Neuere Berechnungen gehen eher von einer erforderlichen Immunität von 80 Prozent aus. Grund dafür ist unter anderem die infolge der Mutationen gestiegene Reproduktionszahl. Insbesondere die Delta-Variante des Virus gilt zudem als besonders ansteckend und kann den Immunschutz durch Impfungen oder vorangegangene Infektionen reduzieren, sodass neuere Studien teils sogar von einer erforderlichen Impfquote von 90 Prozent ausgehen.

Expert*innen warnen entschieden vor der Strategie, eine Herdenimmunität durch eine natürliche "Durchseuchung" der Bevölkerung zu erreichen, wie es einige Länder – darunter Großbritannien – zunächst versuchten: Bis bei einer Erkrankung mit einer hohen Sterberate – bei Corona geht man von 0,7 bis 7 Prozent aus – eine Herdenimmunität eintritt, müsste mit vielen Todesfällen gerechnet werden. Zum Vergleich: Schätzungen zufolge liegt die Sterberate bei der jährlichen Grippewelle bei 0,1 bis 0,2 Prozent. Auch wer die Infektion übersteht, muss mit Spätfolgen rechnen.

Hinzu kommt, dass durch das gleichzeitige Auftreten zahlreicher Infektionsfälle das Gesundheitssystem einer enormen Belastung ausgesetzt ist, wodurch bei zu hohen Infektionszahlen die Versorgung der Infizierten, aber auch anderer behandlungsbedürftiger Menschen, nicht mehr sichergestellt werden könnte.

COVID-19: Herdenimmunität durch Impfungen?

Eine Impfung ist auch im Falle von COVID-19 ein effektiver Weg, sich vor schweren Krankheitsverläufen zu schützen. Aber sind Impfungen auch geeignet, eine Herdenimmunität zu bieten, die Ungeimpfte schützt? Mittlerweile spricht einiges dagegen.

Denn es ist noch unklar, wie lange die Immunität nach einer überstandenen Infektion mit SARS-CoV-2 oder einer Impfung anhält. Bald wurden erste Fälle bekannt, in denen sich Menschen ein zweites Mal mit dem Coronavirus infizierten. Mittlerweile geht man davon aus, dass durch die nachlassende Immunität voraussichtlich regelmäßige Auffrischungsimpfungen erforderlich sind. Das macht das Erreichen einer Herdenimmunität zumindest schwieriger.

Auch ist eine Voraussetzung der Herdenimmunität, dass immune Menschen andere nicht anstecken können. Auch wenn eine Ansteckung zumindest unwahrscheinlicher wird, ist sie aber weiterhin möglich. So gut die Impfungen schwere Verläufe unwahrscheinlicher machen – sie bieten keinen hundertprozentigen Schutz – weder für andere noch für die Geimpften selbst.

Hinzu kommt die Entstehung neuer Virusmutationen, die ansteckender sein können, was wiederum die erforderliche Immunitätsquote für eine mögliche Herdenimmunität ansteigen lässt. Sie können eine Herdenimmunität darüber hinaus zusätzlich erschweren, wenn sie eine Schutzwirkung durch vorhandene Antikörper reduzieren.

Zu bedenken ist auch, dass viele Bevölkerungsgruppen derzeit nicht geimpft werden können, allen voran Kinder, aber auch viele Menschen mit Vorerkrankungen. Umso größer müsste dementsprechend der Anteil der Geimpften in der restlichen Bevölkerung sein. Rechenmodelle gehen von über 85 Prozent aus. Dies wiederum setzt aber eine entsprechende Impfbereitschaft voraus.

Dies zeigt, dass ein vollständiger Schutz durch eine Herdenimmunität im Falle von SARS-CoV-2 eher unwahrscheinlich ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Schutzwirkung für einzelne geimpfte Personen nicht gegeben ist. Außerdem trägt eine hohe Immunitätsquote in jedem Fall dazu bei, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, Intensivstationen zu entlasten und das Risiko für Ungeimpfte zu reduzieren. Am besten ist es daher, wenn sich so viele Menschen wie möglich gegen COVID-19 impfen lassen, um einem schweren Erkrankungsverlauf vorzubeugen.

Darüber hinaus kann das Virus nur dann eingedämmt werden, wenn sich alle konsequent an die empfohlenen Regeln halten. Diese Verhaltensweisen schützen nicht nur vor der eigenen Ansteckung. Sie sollen auch dazu führen, dass sich das Coronavirus langsamer ausbreitet. Damit kann das Gesundheitssystem aufrechterhalten und erkrankte Menschen können auch in Zukunft angemessen medizinisch versorgt werden.

Quellen

Aktualisiert: 15.11.2021
Autor*in: Dr. rer. nat. Isabel Siegel, Diplom-Biologin und Medizinautorin | Silke Hamann, Medizinredakteurin

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