Frau mit Misophonie ekelt sich vor Essgeräuschen
© Getty Images/skynesher

Misophonie – wenn Essgeräusche Ekel auslösen

Von: Olivia Romano (Medizinredakteurin), Jasmin Rauch (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 29.09.2023 - 09:59 Uhr

Lärm macht krank. Bei Misophonie ist allerdings nicht die Lautstärke das Problem. Manche Geräusche lösen bei Betroffenen großen Stress aus. Die Trigger sind vielfältig: Kauen, Atmen, Rascheln, das Klacken eines Kugelschreibers oder Absätze auf Asphalt. Betroffene erleben beim Zuhören Ekel, Wut und Aggression oder reagieren sogar mit körperlichen Symptomen. Was eine Misophonie genau ist, welche Ursachen dahinterstecken und welche Therapie es gibt, lesen Sie im Folgenden.

Was ist eine Misophonie?

Das Wort "Misophonie" stammt aus dem Griechischen und setzt sich aus "miso" für Abneigung oder Hass sowie "phōnē", also Geräusch oder Stimme, zusammen. Diese Bezeichnung beschreibt die Intoleranz bereits sehr gut. Laut Definition liegt bei einer Misophonie eine extreme Abneigung gegenüber bestimmten Geräuschen vor.

Die Art des Geräusches kann dabei sehr unterschiedlich sein und ist auch unabhängig von einer bestimmten Tonlage oder Lautstärke. Auch können mehrere Geräusche oder nur ein einziges der Auslöser sein. Betroffene können sich beispielsweise durch Schluckauf, Essgeräusche wie Schmatzen oder das Ticken einer Uhr so gestört fühlen, dass sie reflexartig mit Wut, Hass oder Ekel reagieren. Durch Menschen verursachte Geräusche sind dabei häufiger Auslöser als Geräusche, die von Tieren oder Maschinen stammen. Zu Ersterem zählen sowohl Körpergeräusche als auch solche, die durch Menschen erzeugt werden (beispielsweise das Klackern einer Computertastatur). Die häufigsten Trigger sind aber Essgeräusche, laut Untersuchungen etwa in 96 Prozent der Fälle.

Bisher ist die Misophonie nicht als eigenständiges Krankheitsbild definiert, zählt also weder zu den körperlichen Erkrankungen noch zu den psychischen Störungen. Definiert ist sie als Geräusch-Intoleranz. Diese tritt oftmals schon sehr früh auf. Im Schnitt sind Betroffene bei Beginn der Behandlung 13 Jahre alt. Manchmal entsteht die Misophonie aber auch erst im Erwachsenenalter.

Welche Ursachen hat eine Misophonie?

Die Ursachen für die Geräusch-Intoleranz sind bisher unklar. Vermutet wird ein Zusammenhang mit folgenden Faktoren:

Inwieweit diese Faktoren eine Misophonie auslösen oder ob Erkrankungen wie Migräne oder Depressionen und die Misophonie zufällig durch dieselben körperlichen Beeinträchtigungen ausgelöst werden und deshalb gemeinsam auftreten, ist bisher nicht eindeutig geklärt.
 

Symptome: Wie fühlt sich eine Misophonie an?

Viele Menschen empfinden bestimmte Geräusche, wie Schmatzen oder das Kratzen von Besteck auf einem Teller, als unangenehm. Bei einer Misophonie sind die emotionalen und körperlichen Reaktionen aber deutlich heftiger.

Emotionale Reaktionen im Zusammenhang mit dem belastenden Geräusch sind Ekel, Aggression und sogar Hass gegenüber der Person, die das Geräusch auslöst. Diese Emotionen sind sehr stark. So kann die Intoleranz beispielsweise dazu führen, dass Betroffene gemeinsame Mahlzeiten mit anderen Menschen komplett vermeiden, weil die Situation für sie kaum erträglich ist. Dieses Vermeidungsverhalten kann sich in schweren Fällen stark auf das Privatleben oder den Beruf auswirken, wenn es die Geräuschkulisse im Büro beispielsweise nicht ermöglicht, dort zu arbeiten.

Körperliche Symptome bei Misophonie sind unter anderem:

Der Leidensdruck ist von Person zu Person sehr unterschiedlich und auch davon abhängig, inwieweit sich Trigger-Situationen entzogen werden kann.

Diagnose einer Misophonie

Auch wenn die Misophonie keine anerkannte Erkrankung ist, haben sich unterschiedliche Forschende mit dem Thema beschäftigt. Es gibt deshalb verschiedene Fragebögen und Tests, die Ärzten*Ärztinnen dabei helfen können, eine Misophonie zu erkennen.

Im Rahmen dieser Tests wird unter anderem abgefragt, welche körperlichen und seelischen Beschwerden das auslösende Geräusch verursacht, wie stark die Reaktionen darauf sind und ob das Vermeiden des Geräuschs zu Einschränkungen im Alltag führt.

Zusätzlich sollte untersucht werden, ob Erkrankungen der Hörorgane (wie eine Hörminderung oder Tinnitus) oder psychische Erkrankungen vorliegen. Auch bei Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung können Geräusche zu negativen Gefühlen sowie körperlichen Symptomen führen. Meist wird dann jedoch Angst oder Panik empfunden, nicht Wut und Ekel.

Da die Intoleranz bisher wenig erforscht ist, wird sie bisweilen nicht richtig erkannt. Teilweise kommt es zu Fehldiagnosen und eine Misophonie wird als ADHS, Hyperakusis (Geräuschempfindlichkeit) oder Phobie gedeutet.

Misophonie: Diese Therapie gibt es

Bisher gibt es keine allgemein anerkannte Therapie, um eine Misophonie zu behandeln. Es gibt aber unterschiedliche Ansätze, die teilweise auch vielversprechende Ergebnisse erzielen konnten. Dazu gehören unter anderem:

  • Medikamentöse Therapie: Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wirken stimmungsaufhellend. Sie werden zur Behandlung psychischer Erkrankungen eingesetzt. Liegt neben einer solchen zusätzlich eine Misophonie vor, könnte der Einsatz auch die Symptome der Intoleranz lindern.
  • kognitive Verhaltenstherapie: Die durch das Geräusch ausgelösten Denkmuster und Verhaltensweisen werden im Rahmen einer kognitiven Verhaltenstherapie abgeändert. Damit sollen negative Gefühle besser kontrolliert werden.
  • Tinnitus-Bewältigungsstrategie (TBT): Bei der TBT werden Bestandteile der Verhaltenstherapie mit der Reduzierung von vermeidendem Verhalten und Techniken zur Entspannung kombiniert. Diese Therapie wird sowohl bei Tinnitus als auch bei Misophonie eingesetzt.

Misophonie – was kann man selbst tun?

Wer an Misophonie leidet, meidet oftmals bestimmte Situationen. Ganz kann man einige Alltagsgeräusche jedoch nicht umgehen.

Zusätzlich zu einer ärztlichen Behandlung können folgende Tipps bei Misophonie helfen:

  • Darüber sprechen: Wer an Misophonie leidet, profitiert oftmals davon, dem Umfeld sein Leiden und die damit verbundenen Emotionen zu schildern. Werden etwa Kaugeräusche als Trigger empfunden und wird daraufhin sozial unangemessen auf Essen im Büro reagiert, kann das zu Spannungen führen. Spricht man darüber und erklärt, dass es nichts mit der essenden Person per se zu tun hat, entspannt dies das Umfeld und vermeidet Konflikte.
  • Pausen organisieren: Essensgeräusche machen Ihnen zu schaffen? Vermeiden Sie die gemeinsame Mittagspause in der Kantine. Essen Sie an einem ruhigen Ort und genießen Sie die Ruhe. Eine Pause soll Kraft spenden und keine Energie rauben. Bei sozialem Druck, gemeinsam zu essen, sollte man die Misophonie bestenfalls thematisieren. Wer auf die Pause mit den Kolleg*innen nicht verzichten möchte, kann kreativ werden. Ein gemeinsamer Spaziergang nach dem Mittagessen umgeht die unangenehmen Essgeräusche und trotzdem wird Zeit zusammen verbracht.
  • Stress reduzieren: Bei vielen Menschen wird die Geräusch-Intoleranz größer, je schlechter es ihnen generell geht. Ist der Stress in Beruf oder Privatleben groß, dann wirken auch die Trigger heftiger. Deshalb ist ein gutes Stressmanagement wichtig im Umgang mit der Misophonie. Autogenes Training, progressive Muskelentspannung, ein heißes Bad am Abend oder Yoga können helfen.
  • Geräuschunterdrückende Kopfhörer: Wen die Geräusche im Umfeld stark emotional belasten, dem können gute Noise-Cancelling-Kopfhörer helfen. Sie blenden alle Geräusche aus. 
  • Tinnitus Noiser: Leise Geräusche können auch durch bestimmte Hörgeräte, sogenannte Noiser, überdeckt werden. Diese werden ansonsten bei Tinnitus eingesetzt und dienen dazu, durch ein permanentes leises Rauschen das störende Geräusch zu übertönen.
  • Für Eltern: Leidet ein Kind an Misophonie, ist es wichtig, die Emotionen ernst zu nehmen und das Kind im Umgang damit zu unterstützen. Um Probleme in der Schule zu vermeiden, sollten die Lehrkräfte miteinbezogen werden. So können gemeinsam passende Lösungen gefunden werden. Viele Schulen verfügen über Noise-Cancelling-Kopfhörer, auch eigene können in vielen Fällen mitgebracht werden. Auch für Schulpausen lassen sich meist gute Lösungen und Strategien finden.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Misophonie und Intelligenz?

Verschiedene Quellen berichten von einem möglichen Zusammenhang zwischen Misophonie und Intelligenz. Unter anderem stützen sich diese Quellen auf die Ergebnisse einer britischen Studie. Bei dieser konnte bei Personen mit Misophonie während des Hörens eines Trigger-Geräuschs eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen der Hörrinde und bestimmten Bereichen des Gehirns festgestellt werden. Diese Bereiche steuern die Bewegungsabläufe im Gesicht, Mund und Rachenraum. Diese gesteigerte Hirnaktivität führt jedoch nicht zu einer gesteigerten Intelligenz. 

Eine weitere Studie, die in diesem Zusammenhang häufig genannt wird, weist auf einen möglichen Zusammenhang zwischen einer gesteigerten Kreativität und einer mangelnden Filterung von sensorischen Reizen (wie Geräuschen) hin. Im Rahmen der Studie wurden aber keine Menschen mit Misophonie untersucht. Ein Zusammenhang zwischen Misophonie und einer höheren Intelligenz lässt sich also auch hier nicht nachweisen.

Frau mit Hochsensibilität ist überfordert
Hochsensibilität: Was ist das?
Hochsensibilität: Was ist das?
Frau an lauter Straße
Lärm macht krank
Lärm macht krank